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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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weißhaariger Mann in
blauem Overall mit Hilfe eines Schweiger-Dieners Unruhs Blumen pflegt –
durchforstet er alle Bereiche des Schloss-Exospeichers, auf die er Zugriff hat,
nach weiteren Lücken. Er setzt sich in einen der Bibliothekssessel und lässt
die Erinnerungen an sich vorüberziehen. Unruh hat im vergangenen Jahr mit
Ausnahme gelegentlicher kleiner Partys ein sehr geregeltes Leben geführt, fast
wie ein Einsiedler. Hin und wieder tauchen exotische Kurtisanen aus der
Schlangenstraße in den Erinnerungen auf und Isidore fragt sich unwillkürlich,
was Adrian Wu wohl von seinem neuen Kunden halten würde. Aber meistens
verbringt Unruh seine Zeit in Einsamkeit, empfängt allenfalls
Antiquitätenhändler, speist allein und verbringt endlose Stunden in seine Bücher
vertieft in der Bibliothek.
    Isidore will fast schon aufgeben – es sind viel zu viele
Einzelheiten, um sie in einer einzigen Sitzung aufnehmen zu können –, doch dann
erstellt er noch einen Querverweis zu dem Buch, in dem Unruh gelesen hatte, dem
Lifecast des Grafen Isidis. Zuvor hatte Unruh das letzte Mal vor vier Wochen
darin geblättert. Und im Speicher …«
    Er begreift es nicht sofort. Doch dann springt er auf und macht sich
auf die Suche nach Odette. Sie überwacht in einem kleinen Büro im Ostflügel des
Schlosses die Vorbereitungen für die Party und ist von schwebenden
Spime-Einladungen umgeben wie von einem in der Zeit erstarrten Vogelschwarm.
    »Ich möchte M. Unruh sprechen.«
    »Das ist leider nicht möglich«, sagt sie. »Christian bleiben nur
noch ein paar Tage, und solange er mir nichts anderes mitteilt, wird er sie so
verbringen, wie es ihm gefällt.«
    »Ich habe ein paar Fragen an ihn.«
    »Ich an Ihrer Stelle, M. Beautrelet«, sagt Odette, »würde mich mit
der Rolle begnügen, die er Ihnen in seinem kleinen Drama zugewiesen hat.« Sie
berührt ein virtuelles Blatt. Es wird zum Gesicht einer jungen Frau: Sie
betrachtet es eine Weile und tippt sich dabei mit der Spitze ihres Stifts an
die Lippen. »Eine Lifecast-Künstlerin«, sagt sie. »Ich glaube nicht, dass sie
dazupassen würde. Manchmal denke ich, ich hätte Musikerin werden sollen. Eine
Party zu organisieren hat viel Ähnlichkeit mit Komposition. Man muss sich
überlegen, wie verschiedene Instrumente einander ergänzen. Für mich sind Sie
nur eines von vielen Instrumenten, M. Beautrelet. Christian hat mich zum
Dirigenten seines letzten Tages bestellt. Also heben Sie sich ihre dramatischen
Eröffnungen bitte für die Party auf. In der Komödie ist das Timing
entscheidend, das habe ich jedenfalls immer gehört.«
    Isidore verschränkt die Arme. »Dazu kenne ich ein Zitat«, sagt er.
»Wenn ich auf einer Bananenschale ausrutsche, ist das eine Tragödie. Wenn Sie
in ein Loch fallen und sterben, ist das eine Komödie. Ich überlege mir gerade,
was ich wohl fände, wenn ich mich ausgiebiger mit Ihnen beschäftigen würde.«
    Sie schaut ihm lange in die Augen. »Ich habe nichts zu verbergen«,
sagt sie endlich.
    Isidore lächelt und schweigt. Sie ist die Erste, die den Blick
abwendet.
    »Na schön«, sagt sie endlich. »Vielleicht kommt ihm ein bisschen Abwechslung
ganz gelegen.«
    Unruh empfängt Isidore auf einer der Galerien des Schlosses. Er
trägt einen Morgenmantel, und seine Miene ist frostig. Isidore sieht einen
verschwommenen Gevulot-Fleck durch einen Korridor verschwinden und fragt sich,
bei welcher Beschäftigung er den Millenar wohl gestört hat.
    »M. Beautrelet. Wie ich höre, sind Sie auf etwas gestoßen.«
    »Ja. Ich bin überzeugt, dass Ihre Besorgnis begründet ist. Hier ist
eine Macht von außen am Werk. Ich werde Ihnen dabei behilflich sein,
entsprechende Vorkehrungen für die Party zu treffen.«
    »Ich sollte mich wohl dafür bedanken, dass Sie sich nicht Odette
anschließen und behaupten, ich hätte den Brief selbst geschrieben«, sagt Unruh.
»Und?«
    »Nichts weiter. Der lokale Exospeicher wurde manipuliert, bislang
kann ich jedoch nicht feststellen, wie oder von wem. Aber nicht darüber wollte
ich mit Ihnen sprechen.«
    »Ach so?« Unruh zieht die Augenbrauen hoch.
    »Als ich den Exospeicher nach Lücken durchforstete, stellte ich
fest, dass Sie den Isidis-Lifecast häufig studiert hatten, und ging zurück zu
dem Punkt, an dem er zum ersten Mal auftauchte. Mir ist klar, dass ich damit
unter Umständen die Rechte missbrauchte, die Sie mir eingeräumt hatten, aber
ich hielt es für wichtig, alle Elemente des Falles aus allen möglichen
Blickwinkeln zu

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