Quantum
untersuchen.«
»So, so.«
»Ihre … Reaktion auf den Text war nicht zu übersehen.« Unruh hatte
geschrien, das Buch quer durch den Raum geworfen, andere Bücher aus den Regalen
gerissen und die Planetenmaschine umgestoßen. Sein schmaler Körper floss
geradezu über vor Aggressivität, bis er schließlich erschöpft in seinen
Lesesessel fiel. »Wenn ich mich nicht irre, trafen Sie wenig später die
Entscheidung, vorzeitig ins Schweigen einzutreten. Was haben Sie gesehen?«
Unruh seufzt. »M. Beautrelet, ich sollte vielleicht klarstellen,
dass Sie hier keine umfassende Ermittlung durchführen. Ich habe Sie nicht
ermächtigt, in meinem Privatleben oder in den Motiven für meine Handlungen
herumzuschnüffeln: Sie sollen nur mein Eigentum und meine Person vor einer
möglichen Gefahr schützen.«
»Sie haben mich angeheuert, weil ich für Sie ein Rätsel lösen soll«,
verbessert Isidore. »Und es ging wohl nicht nur um das Rätsel des Briefes. Ich
habe auch den Grafen Isidis geblinkert.«
»Und was haben Sie dabei entdeckt?«
»Nichts. Ich finde in den öffentlichen Exospeichern keinen Verweis
auf einen Grafen Isidis. Für die breite Öffentlichkeit hat er niemals
existiert.«
Unruh tritt an eines der großen Fenster der Galerie und schaut
hinaus »M. Beautrelet, ich muss gestehen, dass ich Ihnen gegenüber nicht völlig
aufrichtig war. Irgendwo hatte ich wohl die Hoffnung, Sie würden gewisse Dinge
selbst herausfinden, was ja auch geschehen ist.« Er presst eine bleiche Hand
gegen das Glas. »Wenn man sehr reich ist, selbst wenn es ein so künstlicher
Reichtum ist wie in unserer Gesellschaft, geschieht etwas Seltsames. Man
entwickelt so etwas wie Solipsismus. Die ganze Welt fügt sich dem eigenen
Willen. Alles wird zum eigenen Spiegelbild, und nach einer Weile wird es
langweilig, immer nur sich selbst in die Augen zu schauen.«
Er seufzt. »Deshalb versuchte ich, in der Vergangenheit, in unseren
Ursprüngen, unserer Geschichte festeren Boden zu finden: Ich nehme an, dass
sich kaum jemand in unserer Generation so eingehend mit dem Studium der
Monarchie und der Revolution beschäftigt hat wie ich.
Zunächst war es lediglich eine Flucht. Diese Zeit war so viel
farbiger als unsere fade Existenz, es gab echte Kämpfe, das Böse war echt,
Ideen triumphierten über die Unterdrückung, die Menschen hofften und
verzweifelten. Graf Isidis schmiedete ein Komplott gegen einen Tyrannen.
Dramatik. Intrige. Und dann die Revolution! Ich kaufte ZEIT -Bettlern
ihre Erinnerungen ab. Ich war selbst dort, im Harmakis-Tal, und zerfleischte
mit Diamantklauen die Körper von Aristokraten.
Doch nach einer Weile wurde mir klar, dass etwas nicht stimmte. Je
tiefer ich eindrang, desto mehr Ungereimtheiten fielen mir auf. In Lifecasts,
die ich von Schwarzmarkthändlern gekauft hatte, tauchten die falschen Leute
auf, Erinnerungen widersprachen einander. Beim Isidis-Lifecast hatte ich die
erste Erleuchtung, und Sie … haben ja meine Reaktion gesehen.«
Unruh ballt die Fäuste.
»Ich verlor das Vertrauen in die Vergangenheit. Etwas ist damit
nicht in Ordnung. Mit unserem Wissen stimmt etwas nicht. Deshalb wollte ich
nicht, dass Sie die Texte in der Bibliothek studieren. Es ist ein Gefühl, das
ich niemandem wünsche. Vielleicht hatten die alten Philosophen doch recht,
vielleicht leben wir in einer Simulation und sind nur Spielbälle irgendwelcher
transhumaner Götter; oder der Sobornost hat bereits gewonnen, Nikolai Fjodorows
Träume haben sich bewahrheitet, und wir sind alle nur Erinnerungen.
Und wenn man der Geschichte nicht vertrauen kann, was soll man dann
in der Gegenwart? Ich will nichts mehr damit zu tun haben. Ich will nur noch
ins Schweigen.«
»Es gibt sicherlich eine rationale Erklärung«, versucht Isidore ihn
zu beschwichtigen. »Vielleicht wurden Sie Opfer einer Fälschung; vielleicht
sollten wir untersuchen, aus welchen Quellen die Texte in Ihrer Biblio…«
Unruh winkt ab. »Das spielt keine Rolle mehr. Wenn ich erst fort
bin, können Sie mit dem Wissen anfangen, was Sie wollen. Noch ein vollkommener Moment für mich, dann habe ich genug.« Er
lächelt. »Es freut mich aber, dass ich in Bezug auf le Flambeur recht hatte.
Das müsste eine unterhaltsame Begegnung sein.« Er legt Isidore freundschaftlich
die Hand auf die Schulter.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, M. Beautrelet. Ich wollte mit
irgendjemandem darüber sprechen. Odette bedeutet mir viel, aber sie hätte mich
nicht verstanden. Sie ist ein Geschöpf des
Weitere Kostenlose Bücher