Quantum
Party.«
Isidore räuspert sich. Mit einem Mal schämt er sich seiner
zerknitterten Kopie einer alten Revolutionsuniform. »Darf ich mich hier
umsehen?«
»Gewiss doch. Ich könnte mir denken, dass Sie in den nächsten Tagen
ziemlich viel Zeit in diesem Raum verbringen werden. Ich habe Ihnen Zugriff auf
den Exospeicher gegeben – mit Ausnahme gewisser privater Bereiche –, also gehen
Sie nach Herzenslust auf Erkundungsreise.«
Isidore nimmt den Band, den Unruh abgelegt hat, und öffnet ihn. Ein
verwirrendes Display aus Bildern, Vids und Text fließt heraus und umschwebt
ihn. Point-of-View -Vids, Töne, Geräusche, flüchtige
Eindrücke von edlen Gesichtern und prunkvollen Sälen …
Plötzlich reißt ihm Unruh das Buch mit Gewalt aus den Händen. Die
Augen quellen ihm fast aus dem Kopf, und auf seinen bleichen Wangen entstehen
kleine rote Flecken. »Ich möchte Sie bitten«, zischt er, »vom Inhalt der
Bibliothek die Finger zu lassen. Viele von diesen Werken waren … schwer zu
beschaffen, und ich hüte sie mit einer gewissen Eifersucht.« Er reicht der
Bibliotheksdrohne das Buch, und die stellt es in das Regal zurück.
Isidores Schock, sein rasender Puls spiegeln sich offenbar in seinem
Gesicht: Unruh schüttelt den Kopf, dann lächelt er scheu. »Ich bitte um
Verzeihung. Sie müssen verstehen – die Leidenschaft des Sammlers. Und wie
gesagt, dies ist für mich ein sehr privater Ort. Ich wäre Ihnen also dankbar,
wenn Sie Ihre Ermittlungen ohne … akademische Studien führen könnten.«
Isidore zwinkert die Bilder weg und nickt. Das Herz schlägt ihm bis
zum Hals. Odettes Blick ist hart geworden. »Ich habe mich noch nie sonderlich für
Geschichte interessiert«, sagt er ruhig.
Unruh lacht, es klingt wie ein Husten. »Vielleicht wäre es für uns
alle besser, mehr in der Gegenwart zu leben, meinen Sie nicht auch? Genau das
gedenke ich übrigens in den nächsten Tagen zu tun. Ich muss mich um einige …
letzte menschliche Dinge kümmern.« Wieder fasst er nach Isidores Hand. »Ich
habe Vertrauen zu Ihnen, M. Beautrelet. Ich hoffe, sie enttäuschen mich nicht.«
»Das hoffe ich auch«, sagt Isidore.
Nachdem Unruh gegangen ist, nimmt Isidore sein Vergrößerungsglas
aus der Tasche und untersucht damit den Raum. Das Glas überlagert alles mit
Informationen: DNA-Spuren, Abnutzungsmuster im Teppich, Fingerabdrücke und
Fettflecken, Moleküle und Spurenelemente. Zugleich greift er auf den
Exospeicher zu. Vergangene Momente stapeln sich in seinem Kopf zu einem schier
endlosen Turm. Ein kurzes Blinkern, und er weiß, dass der Brief am Abend zuvor
um 20.35 Uhr da ist, wenige Sekunden vorher aber nicht. Und weder zuvor noch
danach ist jemand im Raum. Er erweitert den Speicher auf das ganze Schloss: Hier steht ein auf ewig stummer Diener , dort ein zweiter – und
Unruhs privaten Bereich verbirgt eine Blockade vor seinem Blick.
Wieder wendet er sich dem Brief zu. Nichts weist auf
Selbstassemblierung hin: Das Papier ist entweder handgemacht oder eine perfekte
nanotechnische Kopie. Selbst bei hochentwickelter Fremdwelttechnik ist kaum
vorstellbar, dass eine Nanitenwolke es innerhalb von Sekunden aus dem Nichts
erschaffen könnte; die für eine solche Operation erforderliche Energie hätte im
Exospeicher des Schlosses viele andere Spuren hinterlassen.
»Die naheliegenden Untersuchungen haben wir alle schon angestellt.«
Odette sitzt auf der Armlehne von Unruhs Sessel und sieht Isidore mit ihrem
Kleinmädchenlächeln zu. »Ich glaube nicht, dass Sie mit Ihrem Zoku-Spielzeug
etwas entdecken, was mir entgangen ist.«
Isidore hört sie kaum; seine ganze Aufmerksamkeit gehört dem Boden
und den Wänden der Bibliothek. Wie zu erwarten, sind sie massiv, Basalt mit
Quickstein versetzt. Er setzt sich und schließt kurz die Augen. Bilder aus dem
Buch ziehen vorbei und verschleiern die Gesamtgestalt des Rätsels, obwohl etwas
ihn drängt, auch sie einzufügen. Doch er schiebt sie beiseite und nimmt sich
nun den Brief selbst vor. Ein verschlossener Raum, ein rätselhafter Gegenstand;
die Sache scheint allzu sauber.
»Wann haben sie das letzte Mal etwas für M. Unruh besorgt?«, fragt
er Odette.
Sie legt nachdenklich den Finger an die Lippen. »Vielleicht vor drei
Wochen. Wieso?«
»Ich dachte an trojanische Pferde«, sagt Isidore. »Könnte es sein,
dass Sie ein Gerät gekauft haben, in dem eine Mikrodrohne oder sonst etwas
versteckt war, was den Brief dahin legen konnte, wo M. Unruh ihn fand? Das
Gerät könnte auch
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