Quantum
auf das Bett. Das Wesen landet auf dem Rücken und
wedelt mit seinen Tentakeln hilflos in der Luft herum.
»Ich weiß genau, wie du dich jetzt fühlst«, sagt Isidore.
Er hebt das Wesen auf und dreht es um. Es wirft ihm aus großen Augen
einen dankbaren Blick zu. Er legt sich daneben und starrt zur Decke. Eigentlich
sollte er über Pixil nachdenken und darüber, wie er sie versöhnen könnte. Aber
seine Gedanken wandern immer wieder zu dem Brief zurück. Der Brief ist ein
physikalisches Objekt. Er hat einen Ursprung. Jemand hat ihn geschrieben. Es
ist unmöglich, dass der Exospeicher nicht aufgezeichnet hat, woher er kam.
Folglich muss es möglich sein, seinen Ursprung im Exospeicher zu finden. Es sei
denn …
Es sei denn, der Exospeicher selbst wäre
lückenhaft.
Er zwinkert verdutzt. Ebenso gut könnte man bezweifeln, dass die
Schwerkraft konstante 0,6 g beträgt oder dass morgen
früh die Sonne aufgeht. Aber so abwegig der Gedanke auch sein mag, er passt ins
Bild. Und nicht nur das, er fühlt sich an, als wäre er nur ein Teil eines
größeren Ganzen, das im Dunkeln aufragt und noch nicht vollständig zu erfassen
ist. Wenn man das Unmögliche ausschließt, muss das, was
übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch erscheinen mag.
Etwas Kaltes berührt seine Zehen, und er schreit auf vor Schreck.
Das Wesen ist dabei, die Welt unter seiner Decke zu erkunden. Er holt es wieder
nach oben und sieht es böse an. Es wedelt unschuldig mit seinen Tentakeln.
»Weißt du was«, sagt Isidore. »Ich glaube, ich werde dich Sherlock
nennen.«
Odette hilft ihm wie versprochen bei der Auswahl seiner
Garderobe für die Carpe-Diem-Party. Sie verbringen einen halben Tag auf der
Beständigen Allee. Das Fest steht unter dem Motto ZEIT ,
und ein Herrenausstatter nimmt mit flinken Fingern Maß für ein Kostüm, das sich
auf Sol Lunae bezieht, den zweiten Tag der darischen Woche: Es ist in Schwarz
und Silber gehalten.
»Gilt der Mond nicht als weiblich?«, protestiert Isidore, als Odette
ihm das Thema mitteilt.
»Christian hat sehr gründlich darüber nachgedacht«, sagt Odette und
beobachtet konzentriert, wie der Laden verschiedene Modelle auf Isidores
schlanken Körper projiziert. »Ich würde ihm nicht widersprechen; mir ist es
noch nie gelungen, ihn umzustimmen. Ich denke, wir probieren es mit einem
anderen Stoff, eventuell mit Samt.« Sie lächelt. »Der Mond symbolisiert auch
Mysterium und Intuition. Vielleicht stellen Sie das für ihn dar. Oder auch
nicht.«
Danach sagt Isidore nichts mehr und unterwirft sich klaglos der
sanften Folterung durch den Schneider.
Nach dem Einkaufsbummel kehrt er ins Schloss zurück und beginnt, das
Unmögliche auszuschließen. Dazu entwickelt er eine Reihe von zunehmend
raffinierteren Hypothesen, um das Erscheinen des Briefes zu erklären. Sie
reichen von selbstassemblierendem Papier bis zu einem Unsichtbarkeitsnebel, der
technisch so weit fortgeschritten ist, dass er die allgegenwärtigen Sensoren
des Exospeichers täuschen kann. Aber er landet immer wieder bei der gleichen
unwahrscheinlichen Schlussfolgerung: Es gibt einen Fehler im Exospeicher
selbst.
Gegen Mittag serviert ihm einer der Schweiger-Diener einen leichten
Imbiss. Er isst allein. Der Millenar ist in seiner letzten Woche in einem
Aristokraten-Körper offenbar zu beschäftigt, um noch ZEIT auf etwas zu verwenden, das er bereits in Gang gebracht hat.
Am Nachmittag beschäftigt sich Isidore mit der Möglichkeit einer
Manipulation des Exospeichers. Er blinkert, bis ihm von all den technischen
Informationen über allgegenwärtige Kommunikation in verteilten Systemen,
Quantenkryptografie mit öffentlichen Schlüsseln, das Problem der byzantinischen
Generäle und Geteilt-Schlüssel-Protokolle der Schädel brummt. Der Exospeicher
ist überall. Seine winzigen Sensoren – sie sitzen in jedem Stück Nanomaterie
oder gewöhnlicher Materie – zeichnen von Ereignissen über Temperaturschwankungen
bis hin zu Objektbewegungen und Gedanken alles auf, und der Zugriff wird nur
durch Gevulot kontrolliert. Aber er ist als Nur-Schreib-Speicher mit massiver
Redundanz konzipiert. Um sich einzuhacken und ihn zu bearbeiten, bräuchte man
nanotechnische und rechnerische Ressourcen, von denen ein Oubliette-Bürger
nicht einmal träumen könnte.
Bei dieser Erkenntnis überläuft es Isidore eiskalt. Vielleicht wurde
Unruh tatsächlich von einer fremden Macht ins Visier genommen.
Nach einem Spaziergang im Garten – wo ein
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