Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
Vom Netzwerk:
Augenblicks, und das wäre auch für
mich das Beste.«
    Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen«, sagt Isidore, »aber ich finde
immer noch …«
    »Lassen wir das Thema ruhen«, unterbricht ihn Unruh energisch. »Sie
brauchen sich jetzt nur noch mit der Party und mit unserem Dieb zu
beschäftigen. Und wenn wir schon dabei sind – welche Sicherheitsvorkehrungen
sollte Odette treffen?«
    »Wir könnten am Eingang volle Gevulot-Öffnung verlangen oder im
Garten eine Reihe von Agoren einrichten.«
    »Viel zu plump! Auf gar keinen Fall!« Unruh runzelt die Stirn.
»Beraubt zu werden ist eine Sache, aber schlechte
Manieren sind unverzeihlich.«

10   Der Dieb und das zweite erste Rendezvous
    Bei unserem ersten Wiedersehen sitzt Raymonde neben dem
Spielplatz und nimmt ihr Mittagessen ein. Sie hat Notenblätter auf ihrem Schoß
und auf der Bank ausgebreitet und studiert sie, während sie mit wilder
Entschlossenheit in einen Apfel beißt.
    »Entschuldigen Sie«, sage ich.
    Sie kommt jeden Tag hierher und bringt sich ihr Essen in einer
kleinen Tempmaterie-Tasche mit. Sie isst hastig, als hätte sie ein schlechtes
Gewissen, wenn sie sich einen Moment Ruhe gönnt. Dabei beobachtet sie die
größeren Kinder, die wie die Affen auf den hohen, komplizierten Klettergerüsten
herumturnen, und die Kleinsten, die sich im Sandkasten mit den runden und
farbenfrohen Biosynth-Spielsachen beschäftigen. Sie sitzt ganz vorn an der
Kante, die langen, schlanken Beine etwas verkrampft unter sich gezogen, als
wollte sie jeden Moment aufspringen.
    Jetzt sieht sie mich stirnrunzelnd an. Ihr Gevulot ist nur um eine
Winzigkeit geöffnet und zeigt mir den abwesenden Ausdruck auf ihrem stolzen,
markanten Gesicht. Irgendwie macht er sie noch schöner.
    »Ja?« Wir tauschen eine kurze, knappe Gevulot-Begrüßung. Die
Software der Gogol-Piraten scannt sie auf Lücken, findet aber keine. Noch
nicht.
    Perhonen und ich haben in Agoren und in
öffentlichen Exospeichern nach ihr gesucht und waren nach stundenlanger Arbeit
auch fündig geworden: eine lebhafte Erinnerung an eine junge Frau in einem
adretten cremefarbenen Rock und passender Bluse, die mit zielbewusstem Schritt
durch eine Agora ging. Sie hatte nicht den maskenhaft starren Gesichtsausdruck
so vieler Marsianer an öffentlichen Orten, sondern wirkte ernst und
gedankenverloren.
    Tags zuvor stahl ich ihr in anderer Gestalt ein Notenblatt. Das
halte ich jetzt in die Höhe.
    »Ich glaube, das gehört Ihnen.«
    Sie nimmt es zögernd entgegen. »Vielen Dank.«
    »Es muss Ihnen gestern heruntergefallen sein. Ich habe es auf dem
Boden gefunden.«
    »Sehr praktisch«, sagt sie. Sie ist immer noch misstrauisch: Ihr
Gevulot verrät nicht einmal ihren Namen, und würde ich ihr Gesicht noch nicht
kennen, hätte ich es nach unserem Gespräch schon wieder vergessen.
    Sie lebt irgendwo am Rand des Staubviertels und hat beruflich mit
Musik zu tun. Sie führt ein geregeltes Leben. Ihre Garderobe ist bescheiden und
konservativ. Das erstaunt mich: Es passt nicht zu dem Lächeln auf ihrem Bild.
Aber in zwanzig Jahren kann viel geschehen. Ich frage mich, ob sie in letzter
Zeit im Schweigen war; danach neigen junge Marsianer gewöhnlich dazu, mit ihrer ZEIT besonders sparsam umzugehen.
    »Sie ist nämlich sehr gut.«
    »Wie bitte?«
    »Die Musik. Das Blatt ist analog, deshalb konnte ich nicht
widerstehen und habe es mir angesehen.« Ich offeriere ihr ein wenig Gevulot.
Sie nimmt an. Ja.
    »Ich heiße Raoul. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich suche
schon lange nach einem Vorwand, um Sie anzusprechen.«
    So wird das nichts , flüstert Perhonen .
    Aber sicher wird das etwas . Einer guten Geschichte kann keine Frau widerstehen. Ein
geheimnisvoller Fremder auf einer Parkbank? Sie ist
begeistert.
    »Dann bin ich ja froh, dass Sie einen gefunden haben«, versetzt sie.
Etwas mehr Gevulot: Sie hat einen festen Freund. Verdammt; aber man wird ja
sehen, ob das ein großes Hindernis ist.
    »Haben Sie einen Förderer?« Wieder ein Gevulot-Block: »Entschuldigen
Sie meine Neugier, aber es interessiert mich. Was ist es denn für ein Werk?«
    »Eine Oper. Über die Revolution.«
    »Ach ja. Das kann man sich vorstellen.«
    Sie steht auf: »Ich bin mit einer Schülerin verabredet. War nett,
Sie kennenzulernen.«
    Da hast du’s , sagt Perhonen . Sie hat deine Anmache in der Luft zerrissen.
    Ihr Parfüm – ein Hauch von Kiefer – wirkt direkt auf meine Amygdala
und löst eine Erinnerung nach der anderen aus. Wir sind im Bauch der

Weitere Kostenlose Bücher