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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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entwickeln lassen,
die das alles leisten?
    Aber so einfach ist es nicht. Wenn man zurückkehrt, ist man für eine
Weile zu nichts zu gebrauchen. Man schaut in einen Spiegel und sieht sein anderes Ich. Und man vermisst es. Es ist, als hätte man
einen siamesischen Zwilling. Man ist nie wirklich getrennt.«
    Sie hebt ihr Glas – sie hat auch den Wein ausgesucht, ein Sauvignon
aus dem Dao-Tal. Ich erinnere mich schwach, dass er aphrodisisch wirken soll.
»Auf die Verwirrung«, sagt sie.
    Wir trinken: Der Wein ist vollmundig, kräftig im Geschmack, mit
einem Hauch von Pfirsich und Geißblatt. Er wird von einem seltsamen Gefühl
begleitet, einer Mischung aus Heimweh und dem ersten Anflug frischer
Verliebtheit. In irgendeinem Spiegel lächelt jetzt sicherlich mein altes Ich.
    »Sie wollten ihn haben«, sagt der Wasilew eifrig. Jedes Mal,
wenn er eine Frage beantwortet, stimuliert der Gogol-Chirurg seine Lustzentren.
Der Nachteil dabei ist, dass er sich mit der Antwort viel Zeit lässt.
    »Wer?«
    »Die Verborgenen. Sie herrschen hier. Sie haben uns Seelen für ihn
versprochen, so viele wir wollten.«
    »Wer sind sie?«
    »Sie sprechen durch den Mund von anderen zu uns, wie es die Gründer
manchmal tun. Wir sagten, ja, warum nicht, warum sollen wir nicht mit ihnen
zusammenarbeiten, am Ende wird die Große Aufgabe ja doch alles verschlingen,
alle werden vor Fjodorows Altar geopfert werden, können wir jetzt wieder ins
Museum gehen und uns die Elefanten ansehen?«
    »Zeig sie mir.«
    Aber die Kohärenz des Wasilews zerfällt bereits. Mieli stellt
zähneknirschend eine frühere Version wieder her und befiehlt dem Chirurgen,
noch einmal von vorne anzufangen.
    Das Dinner endet mit einem Dessert, danach folgt ein Spaziergang
im Schildkrötenpark. Wir unterhalten uns, und allmählich öffnet sie mir ihr
Gevulot immer weiter.
    Sie stammt aus einer Slowtown – einer entschleunigten Stadt – im
Kasei-Tal und hatte eine wilde ZEIT -verschwendende
Jugend, bevor sie ihren Platz fand, offenbar mit einem älteren Mann. Schulden
vergisst sie nicht: Ich muss ihr bei einem Mädchen in weißer Schürze ein Eis
kaufen, und sie wählt die Aromen aus; ungewöhnliche synthetische
Geschmackssymphonien, für die ich nicht einmal einen Namen habe, ein wenig wie
Honig und Melone. Ich versuche, die kleinen Dinge, die sie mit mir teilt, für
einen Moment festzuhalten, bevor ich sie der Piratensoftware in ihren gierigen
Schlund werfe.
    »Warum ich eine Oper schreibe?«, fragt sie, als wir uns mit unseren
Eistüten an einen Springbrunnen im Stil der Monarchie setzen. »Der Grund ist,
dass ich etwas Großes schaffen will. Die Revolution
war groß. Die Oubliette ist groß. An die wagt sich niemand heran. Es soll ein
erhabenes Werk werden, mit Gogol-Piraten, Zokus, Rebellion und viel Lärm.«
    »Oubliette-Punk«, sage ich. Sie sieht mich merkwürdig an, dann
schüttelt sie den Kopf. »Das stelle ich mir jedenfalls vor.« Von hier aus kann
man auf der anderen Seite des Parks Montgolfiersville sehen, Wohnballons an
Stricken, die wie bunte Früchte über dem Horizont schweben. Sie betrachtet sie
sehnsüchtig.
    »Haben Sie jemals daran gedacht, von hier fortzugehen?«, frage ich.
    »Und wohin? Ich weiß, es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Der
Gedanke kam mir natürlich immer wieder. Aber hier bin ich ein großer Fisch in
einer kleinen Welt, und das ist mir ganz recht so. Hier kann ich ein bisschen
etwas bewegen, glaube ich. Da draußen – ich weiß nicht.«
    »Das Gefühl kenne ich.« Zu meiner Überraschung ist es tatsächlich
so. Auch ich finde es verlockend, hierzubleiben, in menschlichen Dimensionen zu
agieren, etwas aufzubauen. So muss er empfunden haben,
als er hierherkam. Vielleicht hat auch sie ihm dieses
Gefühl gegeben.
    »Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht neugierig wäre«, sagt
sie. »Sie könnten mir ja zeigen, wie es da ist, wo Sie herkommen.«
    »Ich weiß nicht, ob das so interessant ist.«
    »Kommen Sie schon. Ich möchte es sehen.« Sie nimmt meine Hand und
drückt sie. Ihre Finger sind warm und vom Eis leicht klebrig. Ich durchforste
meine Speicherfragmente nach Bildern. Ein Eisschloss in Oort, Kometen und
Fusionsreaktoren, zusammengefügt zu einer glitzernden Planetenmaschine,
Menschen mit Flügeln, die hinter ihr herjagen. Supra City, eine Stadt mit
Gebäuden so groß wie Planeten, mit Kuppeln, Türmen und Bögen, die sich dem Ring
des Saturn entgegenrecken. Die Gürtelwelten, bedeckt von wildem Biosynth in
Korallen- und

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