Quantum
Hauch eines weiblichen Parfüms umweht ihn, ein angenehmer Kiefernduft.
Der Mann nimmt seine Brille ab und schenkt Isidore ein Lächeln, das
dank der schweren Augenlider Lebensüberdruss ausstrahlt. Seine Augenbrauen sind
sehr dunkel, fast wie mit einer spitzen Feder gezeichnet. Sein Gevulot ist fest
geschlossen.
»Ja?«
»Verzeihen Sie, ich suche nach einem … wie sagt man, einem privaten
Ort?«
»Isidore runzelt die Stirn. »Wie bitte?«
»Für … Körperfunktionen, Sie verstehen?«
»Ach so. Sind Sie Fremdweltler?«
»Ja. Jim Barnett mein Name. Es fällt mir sehr schwer, mich hier
zurechtzufinden.« Der Mann klopft sich an die Schläfe. »Mein Gehirn, es hat
sich noch nicht umgestellt, Sie verstehen? Können Sie mir helfen?«
»Natürlich.« Isidore reicht ihm eine kleine Mit-Erinnerung, die ihm
den Weg zu den Toiletten des Schlosses weist. Dabei spürt er den ersten Stich
beginnender Kopfschmerzen. Vielleicht habe ich in letzter
Zeit zu viel gearbeitet.
Der Mann klopft ihm grinsend auf die Schulter. »Aha! Sehr praktisch.
Vielen herzlichen Dank. Gute Unterhaltung.« Damit verschwindet er in der Menge.
Isidore überlegt, ob er einen von den Wach-Schweigern beauftragen
soll, ihn im Auge zu behalten. Doch da bemerkt er auf einer nahegelegenen Agora
eine Anomalie. Ein kleiner Mann, als Sol Mercurii in blitzendes Silber
gekleidet und mit einem geflügelten Helm auf dem Kopf, kommt ihm irgendwie
bekannt vor. Er unterhält sich mit einer jungen Frau in einem Geminikostüm –
ein Foglet-Bild von ihr folgt jeder ihrer Bewegungen. Die Augen des Mannes sind
in die Ferne gerichtet.
Isidore flüstert einem der Schweiger etwas zu, tritt an das Paar
heran und legt dem Mann die Hand auf die Schulter.
»Adrian Wu.«
Der Journalist fährt hoch.
»Ich muss mit dir reden«, sagt Isidore.
»Aber ich habe eine Einladung«, protestiert Wu. »Unruh hat sie mit
vollen Händen verteilt. Ich muss über dieses Ereignis berichten. Aber dass du hier bist, überrascht mich. Gibt es etwas, das meine
Leser wissen sollten?«
»Nein. Isidore runzelt die Stirn. »Hast du Analogfotos gemacht?«
»Nun ja …«
Einer der Kampf-Schweiger tritt lautlos heran und stellt sich neben
Isidore. Sein Gesicht, das keine Züge hat, ist auf den Journalisten gerichtet.
Er gibt ein subsonisches Summen von sich, das Isidores Lungen in Schwingungen
versetzt. Wu starrt die Maschine an.
»Ich bin hier nämlich für die Sicherheit zuständig«, erklärt
Isidore.
»Gib mir die Bilder, dann kannst du bleiben.«
Wu nimmt seinen Helm ab, schraubt einen kleinen Zylinder heraus und
reicht ihn Isidore. Es ist eine Analogkamera, die offenbar mit dem Kinnriemen
bedient wird, ein primitives Gerät mit lichtempfindlichem Film, so einfach,
dass Gevulot nicht darauf anspricht.
»Danke«, sagt Isidore und nickt der Gemini-Frau zu. »An Ihrer Stelle
würde ich auf jedes Wort achten, das Sie in Gegenwart dieses Mannes sagen.
Geben Sie mir Bescheid, wenn er Ärger macht.« Er lächelt Wu an. »Du kannst dich
später bei mir bedanken.«
Der erste Tanz hat begonnen. Isidore findet, er habe sich einen
Drink verdient, und besorgt sich ein Glas Weißwein. Dann sieht er auf die Uhr:
Unruh bleibt noch eine Stunde bis zu seinem ZEIT -gerechten
Ableben.
Dabei fällt ihm auf, dass sein Verschränkungsring nicht mehr an der
Kette hängt. Sein Herz beginnt wild zu schlagen. Er blinkert seine Begegnung
mit dem Mann mit der blauen Brille und sieht, wie ihm der Fremde den Ring
stiehlt, wie er mit einer kaum wahrnehmbaren Bemerkung seine UHR von der Kette löst, den Ring abnimmt und die UHR wieder befestigt. Es dauert nur wenige Sekunden,
dabei plaudert er ununterbrochen mit Isidore und tarnt alles mit Gevulot, was
sich nur tarnen lässt.
Isidore holt tief Luft. Dann rast er im Geist durch die Agoren der
Party und schickt Odette und den Wach-Schweigern eine Mit-Erinnerung an den
Mann. Aber der Dieb ist nicht aufzufinden, er ist entweder gegangen oder von
Gevulot getarnt. Isidore läuft hektisch umher und versucht, alle
Gevulot-Flecken zu finden, hinter denen sich der ungeladene Gast verbergen
könnte. Er ist ganz sicher, dass es kein anderer war als Jean le Flambeur. Aber
der Mann ist wie vom Erdboden verschluckt. Warum ist er
überhaupt gekommen, um mit mir zu sprechen? Nur um mich zu verhöhnen? Oder – Wieder
spürt er diese eigenartigen Kopfschmerzen und ein bizarres déjà-vu -Gefühl,
kurz aufblitzende Gesichter, als wäre er an zwei Orten zugleich.
Er zieht sein
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