Quarantaene
schwerfiel, überhaupt das Haus zu verlassen – und nach der Operation fühlte sie sich müde und alt, wahrscheinlich hatte sie obendrein auch noch Depressionen, obwohl ich eher den Eindruck hatte, dass sie nicht krank war, sondern traurig, die ganze Zeit immerzu traurig.«
»Das tut mir leid«, sagte Tess.
»Sie hat viel Video geguckt, wenn sie allein zu Hause war. Und als dann in Crossbank dieser Seestern auftauchte, hat sie es gleich gesehen auf dem Bildschirm. Ich musste ihr auch alle Nachrichtenmagazine ausdrucken.«
»Ich war in Crossbank«, erklärte Tess. »Voriges Jahr. Ich kann mich aber an keinen Seestern erinnern.«
»Ja, aber das war vorher. Und selbst zu der betreffenden Zeit gab es nicht viele Bilder. Zuerst hat man versucht, es aus den Medien rauszuhalten, aber es gab ein Amateurvideo, das im Umlauf war, und dann tauchte noch eins in Georgia auf, und plötzlich wusste die ganze Welt, was los war, obwohl natürlich niemand wusste, was genau eigentlich los war. Im Kongress gab es eine starke Gruppe, die die Seesterne ohne Umschweife mit Atomraketen beschießen wollten. Karen war entsetzt darüber. Steh mir bei, aber sie fand sie schön.«
»Schön?«
»Die Seesterne. Vor allem den von Crossbank. Allein der Umfang, irgendwie das Größte und Vollkommenste, was man je gesehen hat, und all die Rippen und Bögen aus welchem Material auch immer, Perlmutt oder so was, mit eingearbeiteten Regenbögen. Man wusste, dass man es mit etwas Besonderem zu tun hatte; manche glaubten, es sei etwas Heiliges, während die anderen eher vermuteten, es wären der Teufel und die vier Reiter der Apokalypse zusammengenommen. Wenn man Depressionen hat, kann einem so etwas vielleicht wirklich wie der Weg zum Heil vorkommen. Aber wenn man nichts anderes möchte, als an seinem Leben festzuhalten und es wieder auf Normalkurs zu bringen, dann ist es nur eine weitere Bedrohung und Ablenkung.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Wahrscheinlich muss man es von Anfang an gesehen haben. Vor allem den großen Seestern, der in Crossbank wuchs, dort wo vorher dieses seltsame Teleskop war. Karen wurde immer aufgeregter, je mehr sie davon in den Nachrichten sah, die Soldaten überall, die gesperrten Straßen, und dann die ausländischen Staaten, die wissen wollten, was für ein Teufelzeug wir da ausgebrütet hätten und ob es gefährlich sei, und natürlich konnte niemand diese Fragen beantworten. Weißt du, was mich bei Karen gewundert hat? Die Energie, die sie plötzlich hatte – dieselbe Frau, die sechs Monate lang kaum einmal vom Sofa aufgestanden war. Sie war ziemlich mollig und schwerfällig geworden, trotz der Tabletten und obwohl sie immer aufs Klo musste, aber jetzt wurde sie in null Komma nichts wieder munter. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie nicht vielleicht ihre Medizin einfach abgesetzt hat. Sie schien zu glauben, dass es nicht mehr darauf ankäme, ob sie am Leben blieb oder nicht: Was mit ihr geschah, das war belanglos. Sie hat über diese Dinge nicht gesprochen, verstehst du, aber es hat sie offensichtlich verdammt interessiert, als die Regierung zugeben musste, dass man einige Menschen und einen Haufen von Robotern im Innern des Seesterns von Crossbank verloren hätte. Man konnte in dem Ding herumlaufen oder eine Kamera mit Fernbedienung reinschicken, aber die Kameras hörten sofort auf zu funktionieren und die Leute, die zu weit hineingegangen waren, kamen nie zurück.«
Tess ging zum Fenster, das dunkel und völlig zugeschneit war. Sie konnte sich Mr. Sandovals »Seestern« überraschend deutlich vorstellen. Ein abgeschiedenes Labyrinth, wie eine Schneeflocke, glaubte sie, in drei Dimensionen aufgefaltet. Fast konnte sie es in dem beschlagenen Fensterglas erkennen. Hastig schaute sie wieder weg.
»Was ist mit Ihrer Frau geschehen?«, fragte sie.
»Karen ist eines Tages in unserem alten Ford weggefahren. Keine Erklärung, keine Nachricht, nichts. Ich war natürlich außer mir. Ich habe mehrmals mit der Polizei gesprochen, aber die hatten wahrscheinlich genug zu tun, weil alle Leute plötzlich nach Westen unterwegs waren, bevor dann die Straßensperren errichtet wurden. Schließlich bekam ich die Mitteilung, dass sie verhaftet worden sei, zusammen mit einer Handvoll von sogenannten Pilgern, die versucht hatten, in die verbotene Zone rund um Crossbank einzudringen. Dann rief die Polizei noch mal an und sagte, sie hätten sich geirrt, Karen habe zwar zu der Pilgergruppe gehört, aber sie sei nicht
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