Quarantaene
Ihnen entschuldigen.«
»Ich habe befürchtet, dass Sie das sagen würden. Deswegen wollte ich ja mit Ihnen sprechen.« Sie runzelte die Stirn. Dadurch wirkte ihr Gesicht noch eingefallener. »Ich kenne Sie nicht sehr gut, Marguerite, aber wir kommen ganz gut miteinander aus, nicht wahr?«
»Ich finde, ja.«
»Gut genug, dass ich ein bisschen persönlich werden kann?« Sie wartete die Antwort nicht ab. »Mein Eindruck ist, dass ich ein paar Erfahrungen mehr mit Männern gesammelt habe als Sie. Nicht unbedingt gute Erfahrungen, aber jedenfalls mehr. Das soll nicht heißen, dass ich eine Schlampe bin oder Sie eine Jungfrau, sondern einfach nur, dass wir an unterschiedlichen Punkten der Verteilungskurve stehen, wenn Sie wissen, was ich meine … Entschuldigung, ich bin ein bisschen wirr im Kopf. Haben Sie Geduld mit mir. Zu den Dingen, die ich gelernt habe, gehört, dass man keine Verantwortung dafür übernehmen kann, was ein Mann tut. Schon gar nicht, wenn man ihn bereits rausgeschmissen hat, weil er so ein Arschloch ist. Also bitte, entschuldigen Sie sich bitte nicht für Ray. Er ist kein Pitbull, den Sie an die Leine hätten nehmen müssen. Er war allein verantwortlich für sein Verhalten, als ihr verheiratet wart. Und er ist ganz allein verantwortlich für das hier.«
Sie zeigte auf den Verband, der sich unter der dünnen Decke abzeichnete.
»Ich wünschte, ich hätte etwas tun können, um ihn aufzuhalten«, sagte Marguerite.
»Ich auch. Konnten Sie aber nicht.«
»Ich denke immer wieder …«
»Nein, Marguerite. Nein, wirklich. Sie können nichts dafür.«
Vielleicht nicht. Aber sie hatte das Ausmaß von Rays Wahnsinn systematisch unterschätzt. Sie war hundertmal, ja tausendmal, über diese Klapperschlange gesprungen, und nur ihre naive Unschuld hatte sie beschützt.
Sie hätte dabei draufgehen können. Sue wäre beinahe draufgegangen.
»Na ja … darf ich wenigstens sagen, dass es mir leidtut, dass Sie zu Schaden gekommen sind?«
»Das haben Sie schon. Danke übrigens. Ich möchte auch noch mit Chris sprechen, aber wissen Sie, jetzt werde ich vielleicht doch ein bisschen müde.« Ihre Augenlider gingen auf Halbmast. »Plötzlich ist mir ganz warm und irgendwie – wie heißt das Wort? Orakelhaft.«
»Orakelhaft?«
»Wie das Orakel von Delphi. Weisheit für einen Penny, wenn ich nur lange genug wach bleibe, um sie zu verkünden. Ich fühle mich sehr weise und so, als würde letzten Endes alles gut werden. Da spricht wahrscheinlich das Morphium aus mir. Trotzdem, Chris ist ein anständiger Kerl. Sie haben es gut getroffen mit Chris. Er gibt sich wirklich große Mühe, auch wenn man es vielleicht nicht immer gleich sieht. Alles was er braucht, ist eine bessere Meinung von sich selbst. Er muss sich Ihres Vertrauens sicher sein und er muss dieses Vertrauen rechtfertigen können … aber das Letztere liegt natürlich an ihm.«
Marguerite starrte sie fassungslos an.
»So«, sagte Sue, unglaublich blass jetzt im Vergleich zu dem gebrochenen Weiß des Bettlakens, »ich glaube, jetzt muss ich wirklich schlafen.«
Sie schloss die Augen.
Marguerite saß still da, während Sues Atemzüge regelmäßiger wurden. Dann ging sie auf Zehenspitzen in den Flur und schloss die Tür hinter sich.
Sue hatte sie heute überrascht. Wie auch Ray – auf sehr viel erschreckendere Weise. Und wenn ich schon diese Leute total falsch eingeschätzt habe, dachte sie, wie soll ich dann das Subjekt auch nur ansatzweise verstehen? Vielleicht hatte Ray in diesem Punkt doch recht gehabt. All ihr großspuriges Gerede über das Narrative: absurd, lächerlich, ein kindischer Traum.
In ihrer Tasche trillerte der Server – eine Nachricht aus dem Auge mit einem Dringlichkeitsvermerk. Auf weitere schlechte Nachrichten gefasst, drückte Marguerite auf den Annahmeknopf.
Es war eine SMS von den Leuten aus der Datenerfassung: Setzen Sie sich schnellstens vor den nächsten Bildschirm, stand da.
»Wie ich höre«, sagte Sebastian Vogel zu Chris, »ist die Wunde nicht so übel, wie es zuerst aussah. Ganz ehrlich, ich dachte, dass sie vielleicht stirbt, aber sie hat die ganze Zeit geredet, als ich sie hergefahren habe, beinahe nonstop.«
Sebastian wirkte zerbrechlich, fand Chris, wie er seinen runden Körper da in den nicht sehr großzügig bemessenen Wartezimmerstuhl zwängte. Elaine Coster saß auf der anderen Seite des Empfangsbereiches und machte ein mürrisches Gesicht, während Tess sich ohne Begeisterung mit Wartezimmerspielzeug
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