Quarantaene
war nun ganz und gar nicht zu denken.
Also kochte sie sich eine Kanne Tee und beobachtete das Subjekt, machte sich Notizen für Rückfragen, die sie wahrscheinlich gar nicht mehr an die betreffenden Stellen weiterleiten würde. Das ganze Unternehmen war dem Untergang geweiht, dachte Marguerite, genau wie vermutlich auch das Subjekt selbst. Es machte einen deutlich geschwächten Eindruck, während die Sonne sich in einen blassen, von hohen Wolken betupften Himmel erhob. Es war seit Wochen auf Wanderschaft, weitab von allen befahrenen Straßen, nur unzureichend mit Nahrung und Wasser versorgt. Seine morgendlichen Ausscheidungen waren dünn und etwas grünlich verfärbt. Beim Gehen verrenkte sich sein Körper in gewissen Abständen, als werde es von plötzlichem Schmerz gepackt.
An diesem Morgen aber fand es sowohl Nahrung als auch Wasser. Es hatte das Vorgebirge einer hohen Bergkette erreicht, und obwohl das Land immer noch furchtbar trocken war, entdeckte es eine Art Oase an einer Stelle, wo Gletscherwasser sich über eine Felsterrasse nach unten ergoss. Das Wasser sammelte sich in einer Granitmulde, klar und durchsichtig wie Glas. Saftige Sukkulenten breiteten ringsum ihr fächerartiges Laub aus.
Subjekt nahm ein Bad, bevor es aß. Es stieg vorsichtig in den kleinen Tümpel und stellte sich dann unter den Wasserfall. Es hatte sich im Laufe der Reise einen Überzug von Staub zugelegt, der jetzt das abfließende Wasser trübte. Als es den Tümpel verließ, glänzte seine Hauthülle, eben fast noch weiß, wieder in einem dunklen Umbraton. Es drehte den Kopf hin und her, als würde es nach möglichen Beutejägern Ausschau halten. (Gab es raubtierartige Spezies in diesem Teil seiner Welt? Eher unwahrscheinlich – denn wo war das Wild, von dem sich ein großes Raubtier ernähren konnte? –, aber nicht ausgeschlossen, vermutete Marguerite.) Dann, in diesem Punkt offenbar beruhigt, pflückte, schälte und wusch es mehrere der fleischigen Blätter und begann sie zu verspeisen. Saft tropfte ihm vom Kiefer und sammelte sich zu seinen Füßen. Nachdem es die Blätter verzehrt hatte, fand es einige moosbewachsene Stellen auf dem Granit nahe des Wasserfalls, die es mit seiner breiten, blaugrauen Zunge ableckte. Dann setzte es sich wieder hin, um seine Mahlzeit in aller Ruhe zu verdauen, und Marguerite rief die Textdatei auf, die sie für Tess angelegt hatte: ihre Kinderbuchgeschichte von der Odyssee des Subjekts.
Die Tätigkeit des Schreibens beruhigte sie, obgleich die Erzählung bei weitem nicht auf dem neuesten Stand war. Sie hatte gerade erst die Beschreibung der Sandsturmkrise beendet und war bei dem Punkt angelangt, wo das Subjekt in der Ruinenstadt mitten in der Wüste erwacht.
Sie schrieb:
An diesem friedlichen und windstillen Morgen befanden sich ringsum die Säulen und Mauerreste von Gebäuden, die vor langer Zeit verlassen worden und seither verfallen waren.
Diese Bauwerke waren nicht wie die hohen kegelförmigen Gebäude seiner Heimatstadt. Wer auch immer diese Gebäude errichtet haben mochte – vielleicht seine Vorfahren –, hatte sie ganz anders angelegt. Sie besaßen Säulen wie die Bauten der Griechen, und vielleicht haben diese Säulen früher einmal sehr viel größere Häuser oder Tempel oder Geschäftsgebäude getragen.
Die Säulen waren aus schwarzem Stein gehauen, und der Sand des Wüstenwinds hatte sie mit der Zeit glatt poliert. Einige ragten hoch auf. doch die meisten waren zu Bruchteilen ihrer einstigen Größe zerfallen, und sofern sie nicht umgestürzt waren, neigten sie sich unter dem Einfluss des Windes nach Osten. Es gab auch ganz andersartige Gebäudereste, einige quadratische Fundamente und sogar ein paar flache Pyramiden, allesamt rundgeschliffen wie die Steine, die man am Grund eines fließenden Gewässers findet.
Der Sturm hatte den Wüstenboden eingeebnet, und jetzt warf die Sonne harte Schatten zwischen die Rinnen. Subjekt stand in Gedanken versunken da. Während der Morgen voranschritt, wurden die Schatten kürzer. Schließlich begann das Subjekt – vielleicht in Gedanken an sein Reiseziel – wieder Richtung Westen zu wandern. Um die Mittagszeit hatte es die verfallene Stadt hinter sich gelassen, sie verschwand unterhalb des Horizonts, als sei sie nunmehr gänzlich versunken, und vor ihm war jetzt nichts mehr als glitzernder Sand und die geisterhaft blauen Silhouetten ferner Berge.
Eben hatte sie den letzten Punkt gesetzt, als das Telefon klingelte und sie Charlie
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