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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Herr Professor an und wollte wissen, ob er Belgier, Franzose oder Israeli sei. Während Bernays sich nach einer Kopfschmerztablette verzehrte. Er fragte sich, ob seine Rühreier mit Speck in einem vom Weißwein übersäuerten Magen gut oder vielmehr besonders schlecht zu liegen kommen würden, und murmelte: Geboren in Polen, britischer Pass. Ich heiße übrigens Hugo.
    Ich weiß, Professor, sagte sie und lachte und hielt sich wie am Vorabend die Hand vor den Mund. Sie flirtet mit mir, dachte Bernays, und Misstrauen flog ihn an. So viel Glück hätte er sich nicht zugetraut. Warum tat sie das? Weil er der Chef der Exkursion war? Es gab ja Frauen, die in jeder Lebenslage Kurs auf den Leitwolf hielten.
    Warum halten Sie sich beim Lachen eigentlich die Hand vor den Mund, fragte er. Langsam nahm sie die Hand herunter, dahinter lachte es nicht mehr. Dafür ging ein Zeigefinger hinauf und lüpfte die Lippe.
    Schiefer Schneidezahn, sagte sie, und er lehnte sich zurück, ahmte ihre Bewegung an seinem eigenen Mund nach, nur weiter seitlich, murmelte, schiefer Eckzahn, nahm den Finger herunter, sah sie, so machohaft zurückgelehnt, zweieinhalb Momente zu lange an und stellte fest: Ich glaube, wir können uns duzen.
    Die Ankunft um drei Uhr morgens hatte die übliche Wirkung. Obwohl Bernays auf der harten Liege kaum geschlafen hatte, zog er die polnischen Nachtzüge jedem gecharterten, klimatisierten, musikberieselten und zu einer normalen Zeit eintreffenden Reisebus vor. Ohne dass er etwas tun oder verhindern musste, bekamen seine Leute gleich den angemessenen Schlag, mitten in ihre Müdigkeit hinein. Die schlechte Straßenbeleuchtung, die ärmlichen Bauten, die Stille, die Menschenleere und dazu das Schild ›Oświęcim‹ reichte den meisten erst einmal. Es sah aus wie ›Nacht und Nebel‹. Kein Schnattern, kein Lachen, darauf war Verlass. Ein strammer Fußmarsch zur Jugendbegegnungsstätte, dann durften sie ins Bett, denn am nächsten Morgen, wenn es an die Arbeit ging, übte dieses erste Nachtbild weiterhin seine subtile Wirkung aus.
    Vom Frühstück an verschanzte sich Bernays hinter seiner Rolle. Er konnte sich denken, dass er zumindest Xane, aber wahrscheinlich auch die meisten anderen mit seiner orange-grüngrauen Ausrüstung befremdete. Erklärungen gab er keine ab. Seit er das Zeug in einem Outdoor-Spezialgeschäft in Frankfurt am Main gekauft hatte, nannten Pauline und er es seinen Auschwitz-Anzug, aber das waren interne Scherze, die man ansonsten nur Menschen wie Rozmburk gegenüber machen durfte. In den verregneten zehn Monaten, in denen Bernays für seine Dissertation recherchiert hatte, hatte er so viele Schuhe und Hosen verschlissen, dass ein Notkauf bei einem Krakauer Herrenausstatter nicht mehr zu vermeiden gewesen war. Ich bin Historiker, kein Pfadfinder, hatte er Pauline, die in jener Zeit außergewöhnlich zartfühlend mit ihm umging, in teuren Ferngesprächen angejammert. Es war ihre Idee gewesen, bei den Archäologen um Rat zu fragen. Aber es ging nicht nur um das Praktische. Bei so vielen Besuchen brauchte man eine Art Arbeitskleidung, etwas, das man überstreifte, um sich selbst klarzumachen, jetzt bin ich wieder da. Und die Montur, die er sich aus den Abteilungen Bergsport und Trekking zusammengestellt hatte, war außerdem grell von allen Geweben entfernt, die an diesem Ort je in Verwendung gewesen waren.
    Das Verrückte war ja, gerade hier brauchten die Menschen einen Führer, nicht bloß einen Guide, wie die Angestellten hießen, die man im Museum buchen konnte. Natürlich konnten sie keine Führer zur Miete anbieten. Guide, das klang so hilfsbereit, sanft und international, änderte aber nichts an der Anforderung an die Person, das hatte er vor Jahren bei Rozmburk gelernt. Egal, ob es ein Zeitzeuge wie jener, eine von den kantigen polnischen Historikerinnen oder ein pickeliger österreichischer Zivildiener war: Von allen wurde erwartet, dass sie den Leuten sagten, wo es langging, in jeder, auch in der innerlichsten Hinsicht. Bernays’ Überzeugung war: Je strenger man loslegte, desto weniger scherten sie später aus, emotional, alkoholisch. So klar geregelt wie Sadomaso, dachte er manchmal, man legt ihnen ein autoritäres Halsband an, damit sie sich nicht selbst verletzen. Das war jedes Mal aufs Neue anstrengend. Aber ihm half dabei seine Jacke, mit all ihren Innentaschen, Reflektorstreifen, Klettverschlüssen und der Kapuze, die bei gutem Wetter im Kragen verschwinden konnte.
    Er begann wie immer

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