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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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verlässlichen. Die Verlässlichen bleiben jedoch verlässlich oder werden sogar immer verlässlicher, die aufregend Hübschen dagegen, siehe die Soyka … Hannelore jedenfalls trat genau in diesem Moment auf die Dachgaubenterrasse und rief: Ludwig! Telefon!
    Er stellte die Schaufel an die Hauswand und sagte langsam: Die Hofrätin Soyka war als junge Frau eine beeindruckende Schönheit, das ist unvergesslich. Er nickte dem Mädel zu und ging hinauf. Du sollst nicht lügen, nicht wahr, und seine Hannelore war einfach wunderbar.
    Sehr viel mehr weiß er beim besten Willen nicht. Eine Zeitlang schlich Frau Molin gedrückt herum, so sehr, dass sich Ludwig einmal erkundigte, ob ihr etwas fehle. Sie sind in letzter Zeit so still, junge Dame, sagte er, und sie lächelte ihn tapfer an und murmelte etwas von viel Arbeit. Das mit Ihrer Arbeit müssen Sie mir bei Gelegenheit noch einmal erklären, sagte er aufmunternd, ich bin wahrscheinlich nicht mehr auf der Höhe der Zeit, aber es hat damals recht interessant geklungen…
    Da fällt mir ein, ich hätte eine Bitte, antwortete sie, und es hätte Ludwig stutzig machen können, dass sie Farbe annahm, die hochnäsige Intellektuelle, für die er sie manchmal hielt.
    Er dachte nur gerührt, sie habe Scheu, um etwas zu bitten.
    Wollen Sie mir wieder beim Jäten zuschauen, fragte er waghalsig. Doch sie wollte Fotos von seinem Jesulein machen! Fotos, hauchte er und suchte verzweifelt nach einer angemessenen Haltung. Sie übergoss ihn mit einem Wortschwall, besänftigend, wie ihm schien. Niemand würde erfahren, dass es seine Figur sei, falls er das befürchte, das sei selbstverständlich. Aber sie habe selten so einen expressiven Gesichtsausdruck bei einer Christusfigur gesehen, so himmlisch leidend, und wenn er ihr helfen würde, würde das Ganze höchstens eine halbe Stunde dauern, ein heller Raum und eine weiße Wand vorausgesetzt.
    Er schlug den Tag vor, an dem Hannelore mit dem Kirchenchor nach Greifenstein fuhr. Die Bitte des Fräuleins war zu merkwürdig, als dass er sie mit ihr hätte erörtern wollen. Er wusste nicht, was das sollte, aber er sah keinen Grund, abzulehnen. Die Sache war völlig uneinordenbar. Er würde sich auf das Abenteuer einlassen, punktum; Bilanz und etwaige Selbstvorwürfe anschließend.
    So stand er vor ihrer Tür, das Jesulein, das er mit dem Federwisch abgestaubt hatte, lag, in ein Tuch gehüllt, in seinen Armen wie sein jüngstes Kind. Frau Molin öffnete, eine professionell aussehende Kamera um den schlanken Hals, und wirkte bedrückt. Sie habe alle in Frage kommenden Wände in ihrer Wohnung getestet; das Ergebnis sei nicht zufriedenstellend.
    Der vereinbarte Tag war wahrlich grau, mitten im Sommer. Ludwig hatte sogar befürchtet, dass Hannelores Ausflug wegen hoher Niederschlagswahrscheinlichkeit verschoben werden müsste. Scheinwerfer, schlug er vor, oder Blitzlicht, und fühlte sich dumm.
    Nein, entgegnete sie sanft, das wirkt zu hart, bei Menschen sowieso, aber bei diesem kleinen Holzgesicht … Mir geht es gerade um dieses Lebendige, dass man ihn beinahe für echt halten könnte!
    So standen sie und schauten einander an. Sie fragte nach den Wänden von Ludwigs Dachgaube. Nein, leider, verzinktes Blech, vom Dach bis zum Boden heruntergezogen, eine Auflage, um das Mauerwerk zu schützen. In der Wohnung hatten sie Tapeten, überall, moosgrün-weiß gestreift im Vorzimmer, creme und braun im Wohnzimmer, im Schlafzimmer altrosa, nicht, dass man eine junge Mieterin ins eigene Schlafzimmer hätte führen können, zu welchem professionellen Zweck auch immer. Es gab nur einen einzigen Ort, der in Frage kam, seine Zuflucht, sein Himmelreich, diesen Dom aus gedämpftem Sonnenlicht, der wahrscheinlich selbst an einem Tag wie heute …
    Sind Sie geruchsempfindlich, fragte Ludwig.
    Wie meinen Sie das, fragte sie zurück.
    Graust Ihnen leicht, wird Ihnen schlecht bei starken Gerüchen? – Er wurde ungeduldig, das Jesulein war ganz schön schwer und auf die Dauer sperrig.
    Nein, eigentlich nicht, sagte sie, und also packte sie die Tasche mit den Objektiven und dem Stativ und stieg ihm nach, hinauf auf den Dachboden.
    Als sie eintraten, atmete sie heftig aus, mit geblähten Backen. Er ging ungerührt voran, öffnete die Luken ringsum, an der gewissen Stelle blinkte ihm die Spiegelscherbe höhnisch entgegen, er ignorierte sie. Wie ist das Licht, fragte er, und sie, die in der Tür stehengeblieben war und auf die Tiere starrte, die in ihren Käfigen umhersprangen

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