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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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investierte, um dazuzugehören und zu Partys oder Events eingeladen zu werden, wo man sich verpflegen konnte. Bei weniger Glück griff man – danke, ich habe schon gegessen – verstohlen in den Brotkorb der anderen. Und ging nachts kilometerweit zu Fuß nach Hause.
    Es war kinderleicht, das vor Xane zu verbergen. Die Stadt war ihr kaum mehr als ein zufälliger Ort, den sie ihren Zwecken untertan machen wollte. Wenn überhaupt, dann suchte sie nach bürgerlichen Gewissheiten wie in Wien und stand befremdet vor allen Manifestationen von Unterschichten-Anarchie und Orient. Sie war von Firma und Karriere völlig in Anspruch genommen und hatte darüber hinaus eine aufreizende Art, alles, was Sally ihr sagte, für bare Münze zu nehmen. Sally persönlich war ja der Meinung, dass es verschiedene Konzepte von Wahrhaftigkeit gab. Man konnte sich vornehmen – und wer täte das nicht? –, so oft wie möglich die Wahrheit zu sagen. Aber deshalb jedem anderen alles zu glauben, das betrachtete Sally als naiv, wenn sie es nicht gleich blöd nennen wollte.
    Auf der anderen Seite nahm Xane ganz banale Dinge schwer und hinterfragte sie und sich hundertmal, so lange, bis sie gar nicht mehr wusste, wie sie sich richtig dazu verhalten sollte. Sie schien sich gern und leicht zu schämen.
    Einmal ließ Sally auf dem Türken-Markt am Landwehrkanal einen Seidenschal mitgehen, den Xane sich vorher unentschlossen angeschaut hatte. Als sie ihn ihr, Stunden später, lächelnd um den Hals legte, hätte sie über die abrupt abgebremste Freude, über den niedergekämpften Verdacht in Xanes gesenktem Blick, beinahe in Zorn geraten können. Wie spießig konnte man sein? Der Schal war schön, er stand ihr gut, und die grinsenden Türken oder Tunesier hatten noch hundert andere, sie würden ihn weder vermissen noch deshalb verhungern. Aber Xane hatte bestimmt noch nie etwas mitgehen lassen; was jemand wie Xane wollte, das kaufte sie sich, oder sie kaufte es eben nicht, obwohl sie es sich fünfmal leisten konnte. Und wenn sie sich etwas nicht leisten konnte, fand sie wahrscheinlich vermessen, es überhaupt zu wollen.
    Wäre Xane in solcher Hinsicht nicht durchschaubar gewesen, so kränkbar und unsicher an luxuriös gewebten Seelenrändern, die Sally gar nicht besaß, hätte sie sie wohl als Gegnerin empfunden. Aber so war die Bilanz ausgeglichen. Sie glaubte, sie werde als schräge Stilberaterin, als Paradiesvogel-Maskottchen, dringend gebraucht und könne dafür ein Plätzchen im Warmen beanspruchen.
    Dann kam Mor zurück und brachte seine Töchter mit, auf unbestimmte Zeit. Oma Anke, bei der die beiden hauptsächlich lebten, seit ihre Mutter irgendwo in Indien verschwunden war, musste sich die Gebärmutter entfernen lassen und überließ die Kinder deshalb widerstrebend Mor, mit dem sie sonst in einem zähen Stellungskrieg um das sogenannte Umgangsrecht lag. Am Tag, bevor die Kinder kamen, wirkte Xane angespannt, wie eine Musterschülerin, die sich für eine besonders schwere Aufgabe wappnet. Sie bat Sally, sie ins KaDeWe zu begleiten; sie war überzeugt, mehr Spielsachen zu brauchen.
    Ich geh mit, aber nicht ins KaDeWe, sagte Sally.
    Wohin denn, fragte Xane und ähnelte mit einem Mal den vergrämt-patenten Müttern, die sich am Zaun vor Babys Kita über auslaufsichere Trinkflaschen und konsequente Schlaferziehung austauschten.
    Sally streckte beide Arme nach ihr aus und legte ihr die Fingerspitzen an die Schultern. Das hatte sie noch nie getan, und Xane begriff die Dringlichkeit.
    Vertrau mir, Xane, sagte sie und lächelte, glaub mir, mit Kindern kenn ich mich aus.
    Und dann zogen sie los und kauften Perücken, Prinzessinnenkostüme, Schminke, Plastikperlen zum Auffädeln, Fingerfarben, eine Staffelei, einen orientalischen Kreisel, der bei hoher Geschwindigkeit zu pfeifen begann, und eine mit Glitter überzogene Murmelbahn.
    Gib zu, du hättest ergonomisches Holzspielzeug gekauft, hänselte Sally auf dem Höhepunkt ihrer plappernden, wirbelwindartigen Vorstellung, oder Barbiepuppen? Und Xane nickte und bewunderte sie.
    Doch als sie das Zeug nach Hause geschleppt hatten, und Sally zu den Mexikanern und ihren göttlichen Erdbeer-Mojitos aufbrechen wollte, widersetzte sich Xane. Sie wollte die Kinderbetten frisch überziehen!
    Dafür ist morgen genug Zeit, sagte Sally und dachte an Baby, die in Frau Hilperts düsterer Küche wahrscheinlich gerade aus Töpfen Türme baute: Außerdem sind es gar nicht deine Kinder!
    Xane sah sie waidwund an. Wenn du

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