Quasikristalle: Roman (German Edition)
Wahrscheinlich war der Typ ein Junkie, und als er kein Geld fand, hatte er ihr eine gesemmelt, ein bisschen zu kräftig, das gab Sally ja zu. Aber wenn das stimmte, würde er sich wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern, in welchem Haus er gewesen war.
Xane hatte dennoch veranlasst, dass Sallys Schlösser ausgetauscht wurden.
Darum hab ich dich nicht gebeten, sagte Sally mit geschlossenen Augen.
Ich habe gedacht, dass nichts dagegenspricht, verteidigte sich Xane.
Das hat bestimmt gekostet!
Ist schon okay.
Finde ich aber nicht.
Sie blieb zwei Tage lang fast durchgehend im Bett. Xane schlich auf Zehenspitzen herum, brachte Baby in die Kita und holte sie wieder ab; was sie am Nachmittag mit ihr machten, wusste Sally nicht. Einmal kam Xane zu ihr herein. Sally stellte sich schlafend, Xane setzte sich trotzdem ans Bett. Entweder nahm sie ihr den Schlaf nicht ab, oder sie nahm sich das Recht, einer Schlafenden ins Gesicht zu schauen. Beides ging in Sallys Augen ein bisschen weit.
Dass sie sich eingestehen müsse, einen Schock zu haben, murmelte Xane mit sahniger Stimme. Dass das jedem schwerfalle, aber einer coolen Kämpferin wie ihr besonders. Nur ein Wort von ihr und sie würde den Kündigungsbrief an ihren Vermieter aufsetzen. In drei Tagen sei Monatsende, das sei dann schon mal erledigt. Aber lass dir Zeit, natürlich, auf einen Monat mehr kommt es wahrscheinlich nicht an.
Als Sally später aus dem Bad zurückkam, lagen auf ihrem Kopfkissen Ausdrucke von Immobilienangeboten; Preis und Lage waren mit Leuchtstift markiert.
Am dritten Tag wartete sie mit dem Aufstehen so lange, bis garantiert niemand mehr in der Wohnung war. Sie huschte zur Eingangstür, legte den Riegel vor und begann mit der Untersuchung. Neben Fischölkapseln, Preiselbeerpastillen, Augentropfen, Aspirin, homöopathischen Globuli und einem Eisenpräparat hatte Xane Gleitcreme in ihrer Nachttischlade, erstaunlich, in dem Alter. Auf Mors Seite nur Bücher und Baldriantropfen. Mor besaß eine wohlgeordnete CD-Sammlung, Schwerpunkt Jazz; sein Schreibtisch dagegen war chaotisch. Auf dem einzigen Stapel, der von seiner Umgebung halbwegs deutlich abzugrenzen war, lagen Rechtsanwaltsbriefe zum Thema Kinder: Unbestreitbar hat Ihr Mandant seine Wohnung erst kürzlich mit erheblichem finanziellen Aufwand renovieren lassen, daher fordert meine Mandantin…
Beide benutzten Schuppenshampoo, oder einer von ihnen fühlte sich von seinen Schuppen so geplagt, dass er mehrere Sorten verwendete, von verschiedenen Herstellern. Xane trug nur schwarze und hautfarbene Unterwäsche, die paar ehemals weißen BHs waren graustichig und sahen kleiner aus. Sie schien nicht zu wissen, dass Männer hautfarbene Unterwäsche verabscheuen wie wenig sonst.
Bettwäsche und alte Handtücher wegzuwerfen fiel ihnen schwer.
Die Kontoauszüge und Steuersachen standen pedantisch in Ordnern. Die Wohnung war billiger, als man meinen sollte. Und Mor verdiente weniger. Bei Xane ging es auf und ab, Tendenz steigend.
Pornos gab es nirgendwo, nur einen winzigen Billigvibrator, der in einem Paar gestreifter Damensocken steckte.
In einer Schublade voller Fotos fiel Sally eines auf, das Judith, Xane und die dritte Freundin zeigte, die blonde; ihren Namen hatte Sally vergessen. Sie stand in der Mitte und strahlte; Xane sah irgendwie gepresst aus, obwohl sie lächelte, Judith hatte eine Hüfte vorgeschoben und machte ihr hochmütiges Nicht-Gesicht. Der rote Sweater, den sie trug, hatte später Sally gehört.
In der verborgenen Innentasche eines leeren Aktenkoffers steckten zwei Kondome, allerdings konnte der Koffer seit Jahren unbenutzt sein; und es hatte Zeiten gegeben, in denen auch Frauen solche Aktenkoffer verwendeten.
Hinter der Schlafzimmertür war ein kleiner Wandsafe, der offen stand, der Schlüssel ließ sich nicht abziehen. Wahrscheinlich brauchte es nur ein bisschen Öl.
In einer von Xanes Handtaschen fand sie einen zusammengefalteten Brief. Unter einem eindrucksvollen Briefkopf willigte ein gewisser Johannes Dammaschke, Musikagent, ein, für die erwähnte Sängerin ein weiteres Vorsingen einzurichten, bat Xane aber, keine allzu großen Hoffnungen zu wecken – er habe bereits zwei sehr geeignete Kandidatinnen für den Part. Vereinbarte Xane schon Termine für sie? Dieser hier war nächste Woche.
Sally begann zu putzen. Sie nahm die Vorhänge ab und steckte sie in die Waschmaschine, sie staubte die Bücher ab, sie verteilte großzügig Parkett-Polish in den Zimmern, bis sie
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