Quasikristalle: Roman (German Edition)
der die Grenzen ihrer Beziehung absteckte. Eine kleine Kränkung verspürte er, zwischen den Beinen, aber er konnte sich nicht beschweren. Er lebte auf einem Berg von fahlen Scherben, und er hatte sich von ihr nur einen Funken, einen freundlichen Ton gewünscht. Nun lagen sie da und hielten sich eine Weile aneinander fest. Xane versteckte ihr Gesicht wie ein Kind in seiner Halsbeuge. Sein ältester Freund aber lag in einer Kühlkammer, und wo die anderen waren, wusste wahrscheinlich nicht einmal das Schwein im Den Haager Glaskasten.
Wann sehe ich dich wieder, fragte sie, und er schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung. Man konnte nicht sagen, was kam, aber vor allem wusste er nicht, wie er sein würde. Er brachte sie hinunter in die Halle, dort gaben sie einander die Hand. Einen ironischen Mundwinkel konnte sie sich, mitten in ihrer Verwirrung, nicht verkneifen.
Als sie in die gläserne Drehtür trat, straffte sie sich. Das fiel ihm auf, und deshalb schaute er ihr noch einen Moment nach. Sie verließ die Drehtür, machte ein, zwei Schritte und war weg, so plötzlich, als hätte sich unter ihr eine Falltür geöffnet. Er hätte an Einbildung geglaubt, wenn dabei ihr Kopf nicht auf eine unnatürliche Weise zur Seite abgeknickt wäre. Er rannte hinaus und dachte später lange und bitter über seine Assoziationen nach, darüber, wie eiskalt es ihm im Brustkorb geworden war. Wie nahe der Teufel immer noch war, wahrscheinlich blieb er da bis zum Schluss. Nein, sie war nicht erschossen worden, weil sie in seiner Nähe gewesen war, sie war auf keine Mine getreten und von keiner Granate zerfetzt worden. Sie hatte sich verknöchelt und war die paar Stufen vor dem Hotel hinuntergefallen, nichts weiter. Als er sie erreichte, war sie schon wieder auf den Knien. Sie lachte, obwohl sie sich wehgetan hatte. Sie streckte ihm eine Hand entgegen und ließ sich hochziehen.
Geht es, fragte er, und sie sagte: Wie unglaublich blöd von mir.
Beide schauten erst auf ihre aufgeschürfte Handfläche, dann fielen sie sich in die Arme, heftig und bestürzt wie Überlebende. Als er sie losließ, fuhr ein Bus vor und entließ, als ob er platzte, einen Schwall junger Leute, in deren Mitte sie mit einem Mal standen. Sie bahnte sich ihren Weg durch Lärm und Unruhe und hob noch einmal, ohne sich umzudrehen, die Hand, als würde sie ihn heimlich grüßen. Die Türen schlossen sich, und das Licht stand so, dass das Glas weiß schien und er nichts mehr von ihr sah.
Angenehm ist es, zur rechten Zeit ein Narr zu sein.
– Horaz –
7 Ich lebe so, wie ich es immer wollte. Ich habe nicht mehr, wie in den ersten Jahren, beim Einschlafen Herzrasen, weil dieses alltägliche Pasticcio aus Unordnung, Geschrei, Fieberzäpfchen, Fischstäbchen, Brechdurchfall, Sand auf dem Sofa, Lego im Bad, nutellaverschmierten Handtüchern und der Selbstverpflichtung, die Nachmittage mit lähmend langweiligen Spießern zu verbringen, nur weil sie ebenfalls Kleinkinder haben, mich zu erschlagen drohte wie eine Grabplatte. Der einzige echte Ausweg, als Rabenmutter bei Nacht und Nebel nach Australien, im Flugzeug schluchzend an ein Päckchen Kreditkarten geklammert, war so realistisch, wie sich den Arm abzuhacken.
Um sich halbwegs menschenwürdig zu fühlen, braucht es inzwischen nur ein gewisses Organisationstalent. Gegen Bares passen die größeren Kinder abends auf die kleineren auf, und selbst ein paar erschöpfte Tage Wellness zu zweit sind drin, wenn man Wochen vorher den Schnäppchen-Flug für eine Großmutter bucht. Oder wenn die schwulen Freunde unversehens Lust auf ein Brutpflege-Wochenende haben, das sie aber erst langfristig in ihrem Businessplan unterbringen müssen.
Spontaneität wird ohnehin überschätzt.
Doch, die Kinder geraten gut. Die beiden Älteren haben, scheidungs-und pubertätsbedingt, ein paar Macken, das jüngste Kind ist dafür ein reiner, edler Sonnenschein. Das ist ein Kredit auf unsere Nerven, den wir in der Pubertät vermutlich auf Heller und Pfennig, auf geknallte Tür und ›fick dich‹ zurückzahlen werden.
Den Mann gefunden zu haben, bleibt das eigentliche Wunder. Nie hätte ich mir vorstellen können, so viele Jahre mit ein und demselben Menschen zu verbringen, ohne dass es eine Qual aus Altbekanntem, kalt Durchschautem und Unerträglichem wird. So wie damals mit den Eltern.
Im besten Fall, glaubte ich, würde es langweilig. Mor ist manchmal haarsträubend eitel, lebenstechnisch ungeschickt, kritikunfähig, übertrieben
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