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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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schadet, als einen über den Durst zu trinken. Wenn es nicht zur Gewohnheit wird.
    Darüber schütteln Mor und ich die Köpfe im Takt. Wir sind, weltanschaulich und sexuell, auf eine Weise ineinander verklammert, die mir inzwischen nicht nur altmodisch, sondern bedrohlich starr vorkommt. Aber ich vermute, dass wir da nicht mehr herauskommen. Dafür genügt mein eigenes Beispiel. Als Mor mir eines Abends gestand, dass er sich mit einer gewissen kastanienbraunen Schnitzler-Dissertantin aus München mehrfach getroffen, es mir aber bislang verschwiegen hatte, brach ich tatsächlich zusammen, über Tage, bis ich von mir selbst nur noch feucht-zerknüllte Reste erkennen konnte, die abstoßend aussahen.
    Nur Kaffee getrunken, stammelte er, überwältigt von dem furienhaften Wahnsinn, der ihm nach den ersten Sätzen entgegenschlug, okay, ein paar Mails geschrieben. Aber hauptsächlich: Fachgespräche. Nein, diese Mails würde er mir nicht zu lesen geben, warum auch? Und er erzähle das nur als Nachtrag, weil er es bisher irgendwie vergessen habe – er, der mir doch sonst immer alles erzählt!
    Nur daher sein schlechtes Gewissen. Aber das habe er doch hiermit in Ordnung gebracht, sagte er verunsichert, während mir Sturzbäche übers Gesicht liefen, weil ich zuerst nur an das Kleinkind denken konnte, das, mit inzwischen acht schimmernden Milchzähnen, vier oben, vier unten, im Nebenzimmer schlief und es unmöglich machte, dass ich aufstand, hinauslief und den nächsten Zug nach irgendwo nahm.
    Allerdings geht jeder von sich selbst aus. Wenn mich ein unbezwingbares Bedürfnis packen würde, Kaffeehaus-oder Restaurantbesuche mit einem anderen Mann zu gestehen, dann nur deshalb, weil ich längst mit ihm im Bett gewesen wäre. Nur deshalb würde ich, gebeugt von Schuldgefühlen, zumindest verheimlichte Kaffees zugeben wollen. Um mir Verzeihung für die ersten fünf Zentimeter des Irrwegs zu erbitten, die ich unerlaubt auf den Restkilometer ausdehnen würde.
    Stellte ich mir damals vor. Mir war unbegreiflich, warum man bloße Kaffeehaustreffen einerseits verheimlichen, andererseits pompös gestehen wollte, während man gleichzeitig abstritt, dass es dabei um mehr gegangen war.
    Im Rückblick ist das alles niedlich. Denn wenn ich Mor glaube – und das tue ich! –, hat er damals wirklich nicht mehr getan und ist da bereits, irritiert über die eigene, ihm spontan unterlaufene Geheimniskrämerei, zurückgezuckt. Ich dagegen habe diese kleine Unterschlagung für den ganzen Betrug genommen und mich dementsprechend aufgeführt, Beruhigungstropfen inklusive, als ich, nur eine Woche später, auf einem Symposion als Professorengattin auftreten und ebenjener aseptisch hübschen, unerträglich jungen Doktorandin die Hand schütteln musste. Als sie unserem Amos, der zwischen den Teilnehmern herumstolperte, über den Kopf strich, hätte ich sie am liebsten in die schneeweiße Hand gebissen.
    Was habe ich denn geglaubt? Dass für Mor die weibliche Hälfte der Welt hinter dem Horizont versinkt, nachdem er mich getroffen und geheiratet hat? Natürlich nicht. Aber damals, in der Schnitzler-Krise, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass auch ich nicht ewig jung, schön und phantastisch interessant bleiben würde. Ich habe den Fluch des Alters gespürt, mit Mitte dreißig, um die Hüften noch etwas ausgeleiert von der Schwangerschaft, nur weil die kleine Schnitzler-Expertin, die übrigens ein grauenvoll geschertes Bayrisch sprach, wiederum fast zehn Jahre jünger war als ich. Ein Madonnengesicht und bestimmt ein reines, strebendes Forscherinnenherz. In dem vermutlich doch eine hässliche Eitelkeit erblühte, als sich Herr Professor Braun gelegentlich mit ihr zum Kaffee traf und ihr ein paar seiner kristallinen E-Mails verehrte.
    Meine Eifersucht, die meistens tief unten in der Erde schläft, ist, wenn sie einmal hochkommt, vulkanisch. Ich brach in Mors Computer ein, ich fand diese E-Mails, ich schämte mich nicht einmal dafür. Keine meiner überspannten Befürchtungen traf ein; aus seinen Briefen blickte mir ein völlig fremder Mor entgegen, einer, den ich gar nicht hätte haben wollen. Onkelig war er da, ein Mentor, der joviale Kummerkasten für die vielfach gestresste, an sich zweifelnde Studentin. Trotzdem glaubte ich allen Ernstes, ich hätte eine tiefe Wunde empfangen und die Narbe würde von nun an unsere einzigartige, heilige Beziehung verunstalten.
    Das Theater war lächerlich und dennoch wichtig wie eine Brandschutzübung. Alle Gefühle

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