Quellcode
konnte sich nicht an ihr vorbeimogeln; es war klar, dass sie ihn erkannt hatte. Sie hatte natürlich keinen blassen Schimmer, dass halb L.A. auf der Suche nach ihm ist. Er hat ihr erzählt, er sei in Vancouver, um mit einem Label zu sprechen, über die Veröffentlichung einer CD. Von ihr habe ich überhaupt erst erfahren, dass er hier ist.«
»Steht ihr euch nah?«
»Hört es sich so an?«
»Tut mir leid«, sagte Hollis.
»Nein, mir tut es leid«, sagte Sarah, »dass er so schrecklich nervtötend und unverantwortlich ist. Er denkt immer nur an sich, genau wie mit fünfzehn. Es ist nicht einfach, eine Intelligenzbestie zum Bruder zu haben.«
»Wieso Intelligenzbestie?«, fragte Hollis.
»Mathematik. Software. Wusstet ihr, dass er sich nach einem Softwareprogramm benannt hat, das in den Lawrence Berkeley National Labs entwickelt worden ist? Chombo.«
»Was … macht man denn mit Chombo?«
»Es implementiert finite Differenzmethoden für die Lösung partieller Differentialgleichungen auf blockstrukturierten, adaptiv verfeinerten rechtwinkligen Gittern.« Sarah verzog kurz das Gesicht, wahrscheinlich ohne es zu merken.
»Kannst du das erklären?«
»Nicht eine Silbe davon. Aber ich arbeite auch in einer Galerie für zeitgenössische Kunst. Chombo ist Bobbys Steckenpferd. Er meint, dass niemand außer ihm Chombo wirklich schätzt und versteht wie er. Er redet über Chombo, als wäre es ein Hund, dem er Sachen beigebracht hat, die sonst noch nie jemand einem Hund beigebracht hat. Stöckchen holen, sich auf den Rücken drehen und so.« Sie zuckte die Achseln. »Du suchst auch nach ihm, oder?«
»Ja«, antwortete Hollis und legte ihr Sandwich weg.
»Und warum?«
»Weil ich Journalistin bin und über Locative Art schreibe. Und da scheint er maßgeblich beteiligt zu sein. An seinem plötzlichen Verschwinden und der Aufregung, die er dadurch verursacht hat, ist er auf jeden Fall maßgeblich beteiligt.«
»Du warst doch früher in dieser Band«, sagte Sarah. »Ich erinnere mich daran. Mit diesem englischen Gitarristen.«
»The Curfew«, sagte Hollis.
»Und jetzt schreibst du?«
»Ich versuche es zumindest. Ich dachte, ich verbringe ein paar Wochen in L.A. und recherchiere. Dann hat Alberto Corrales mich Bobby vorgestellt. Und dann ist Bobby verschwunden. «
»›Verschwunden‹ ist vielleicht ein wenig dramatisch«, erwiderte Sarah, »besonders, wenn man Bobby kennt. ›Hat sich verkrümelt‹ sagt mein Vater dazu. Meinst du, Bobby würde sich freuen, dich zu sehen?«
Hollis dachte darüber nach. »Nein«, sagte sie. »Es hat ihm überhaupt nicht gepasst, dass Alberto mich in seine Wohnung in L.A. mitgebracht hat. Sein Arbeitsstudio. Ich glaube kaum, dass er mich noch mal sehen will.«
»Deine Platten hat er immer gern gehört«, entgegnete Sarah.
»Das hat Alberto auch gesagt«, meinte Hollis, »aber er wollte wohl generell keinen Besuch.«
»Wenn das so ist«, sagt Sarah, legte eine Pause ein und blickte kurz zu Odile und dann wieder zu Hollis, »dann sage ich dir, wo er ist.«
»Du weißt es?«
»Er hat einen Loft hier an der East Side. Einen Raum in einer ehemaligen Polstermöbelfabrik. Wenn er nicht da ist, wohnt eine Frau darin, der begegne ich manchmal, sodass ich weiß, dass er den Loft noch hat. Es würde mich sehr wundern, wenn er hier ist und nicht dort wäre. Am Clark Drive.«
»Clark?«
»Ich gebe dir die Adresse«, sagte Sarah.
Hollis holte einen Stift heraus.
63. EINE INTIME ANGELEGENHEIT
Tito sah zu, wie der Alte die New York Times, die er gelesen hatte, zusammenfaltete. Sie saßen in einem offenen Jeep mit roten Rostflecken auf der Kühlerhaube, die mit mattgrauer Farbe überpinselt waren. Tito konnte den Pazifik sehen, dieses für ihn neue Meer. Der Pilot hatte sie vom Festland hierher gebracht und war nach einem langen, vertraulichen Abschied vom Alten wieder abgeflogen. Sie hatten einander die Hände lange und fest gedrückt.
Er hatte der Cessna nachgesehen, bis sie zu einem Punkt geworden und dann verschwunden war.
»Ich erinnere mich an die Druckfahnen eines CIA-Verhörhandbuchs, das uns inoffiziell zugeschickt wurde, damit wir es kommentieren«, sagte der Alte. »Im ersten Kapitel wurde erläutert, dass Folter zur Erlangung von Informationen im Grunde völlig kontraproduktiv ist. Es ging darin nicht um ethische Überlegungen, sondern nur um die Qualität des Ergebnisses und darum, ein Maximum an Information herauszuholen.« Er nahm seine Metallbrille ab. »Wenn der Mann, der
Weitere Kostenlose Bücher