Quellcode
der Tanz der Wandelnden Toten. In San Isidro hatte Tito Juana spät an den langen Abenden Zigarren rauchen und tanzen sehen, besessen.
Jetzt war er hier bei ihr, all diese Jahre später, früh am Morgen, und saß vor ihrem New Yorker Altar, der genauso säuberlich abgestaubt war wie der Rest ihrer Wohnung. Jene, die nichts wussten, würden ihn lediglich für ein Regal halten, aber ihre ältesten Flaschen standen dort, diejenigen, die das Wetter alter Zeiten in ihrem Inneren bargen.
Tito hatte gerade die Beschreibung des alten Mannes abgeschlossen.
Juana rauchte keine Zigarren mehr. Wahrscheinlich tanzte sie auch nicht mehr, obwohl Tito darauf nicht wetten wollte. Sie streckte eine Hand aus und nahm von einem kleinen Teller auf ihrem Altar vier Stückchen Kokosnuss. Sie strich mit den Fingern der anderen über den Fussboden, küsste dann ihre Fingerspitzen und den nur symbolisch daran haftenden Staub. Sie schloss die Augen und betete kurz in der Sprache, die Tito nicht verstand. Sie stellte eine Frage in dieser Sprache, mit fester Stimme, schüttelte die Kokosnussstücke in den aneinander gelegten hohlen Händen und warf sie auf den Boden. Dann setzte sie sich hin, die Ellbogen auf ihren Knien, und betrachtete sie.
»Sie liegen alle mit dem Fruchtfleisch nach oben da. Das spricht für Gerechtigkeit.« Sie hob sie wieder auf und warf sie noch einmal. Zwei mit der weißen Seite nach oben, zwei mit der braunen. Sie nickte. »Bestätigung.«
»Für was?«
»Ich habe gefragt, was mit diesem Mann kommt, der dich beunruhigt. Er beunruhigt auch mich.« Sie warf die vier Bruchstücke in einen blechernen Mülleimer mit dem Abzeichen der Dodgers. »Die Orishas können uns manchmal als Orakel dienen«, sagte sie, »aber das heißt nicht, dass sie uns viel erzählen, oder auch nur, dass sie wissen, was passieren wird.«
Er wollte ihr beim Aufstehen helfen, aber sie wehrte seine Hand ab. Sie trug ein stumpf graues Kleid mit einem Reißverschluss vorn, wie eine Uniform, und ein passendes Kopftuch dazu, eine Babushka, unter der sie weitgehend kahl war. Ihre Augen waren wie dunkler Bernstein, das Weiße darin mit einem Gelbstich wie Elfenbein. »Ich mache dir jetzt dein Frühstück.«
»Danke.« Es wäre zwecklos gewesen abzulehnen und der Sinn stand ihm auch nicht danach. Juana schlurfte langsam in ihren grauen Pantoffeln, die zu ihrer uniformen Kleidung passten, in die Küche.
»Erinnerst du dich an die Wohnung deines Vaters in Alamar?«, fragte sie über die Schulter aus der Küche.
»Die Gebäude sahen aus wie aus Plastikziegeln.«
»Ja«, sagte Juana, »sie wollten, dass es so weit wie möglich wie in Smolensk aussah. Ich fand es pervers, dass dein Vater dort leben wollte. Schließlich hatte er im Gegensatz zu vielen anderen die Wahl.«
Er stand auf, um ihre alten Hände besser sehen zu können, wie sie geduldig Brot schnitten und für den Toastofen mit Butter bestrichen, wie sie den kleinen Espressokocher aus Aluminium mit Wasser und Kaffeepulver füllten, Milch in ein Metallkännchen gossen.
»Er hatte Wahlmöglichkeiten, dein Vater. Mehr vielleicht als dein Großvater.« Juanas Blick traf seinen.
»Warum das?«
»Dein Großvater war sehr einflussreich in Kuba, aber im Geheimen, solange die Russen noch da waren. Dein Vater war der Erstgeborene eines einflussreichen Mannes, sein Liebling. Aber dein Großvater wusste natürlich, dass die Russen gehen und die Dinge sich ändern würden. Als sie 1991 abzogen, hat er die ›Sonderperiode‹ schon vorausgesehen, den Mangel und die Entbehrungen, er hat vorausgesehen, dass Castro nach dem ehernen Symbol seiner Erzfeinde, dem Dollar, greifen würde, und er hat auch den daraus folgenden allmählichen Machtverlust seiner selbst vorausgesehen. Aber ich will dir ein Geheimnis über deinen Großvater erzählen.«
»Ja?«
»Er war ein Kommunist.« Sie lachte, ein überraschend mädchenhaftes Geräusch in der winzigen Küche, als ob jemand anders da wäre. »Mehr ein Kommunist als ein Santero. Er glaubte daran. Der Kommunismus auf Kuba scheiterte auf jede erdenkliche Weise, und im Gegensatz zu den einfachen Leuten sahen wir die Gründe dafür. Und doch glaubte er daran, auf seine Art und Weise. Er war, genau wie ich, in Russland gewesen. Er hatte, genau wie ich, Augen, um zu sehen. Und doch glaubte er daran.« Sie zuckte lächelnd die Achseln. »Ich denke, das gab ihm einen besonderen Einfluss auf die, an die wir durch ihn gebunden waren. Sie hatten immer schon vermutet, dass
Weitere Kostenlose Bücher