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seines Mittagessens auf und wurde Zeuge, wie ein mächtiger, schwarzer Mann hereinkam, von sehr großer und breiter Statur, mit einem oberschenkellangen Mantel aus robustem, schwarzem Leder, doppelreihig und mit Gürtel, und einer schwarzen Watchcap-Wollmütze, die er tief über die Ohren herabgezogen hatte. Die Mütze erinnerte Milgrim an die aus Wolle gestrickten Kopfbedeckungen, die Kreuzfahrer unter ihren Helmen trugen, was wiederum dazu führte, dass ihm der Ledermantel wie ein zu lang geratener Brustharnisch vorkam. Ein schwarzer Ritter, der aus der Kühle des frühen Abends in die Wäscherei trat.
Milgrim war sich nicht sicher, ob es tatsächlich schwarze Ritter gegeben hatte, aber hätte ein Mohr nicht konvertieren können, so ein afrikanischer Riese, und zu einem Ritter im Dienste Christi gemacht werden? Verglichen mit der ganzen Freigeist-Geschichte erschien dieses Szenario doch ziemlich wahrscheinlich.
Jetzt war der schwarze Ritter zur Theke des Koreaners gegangen und fragte ihn, ob er auch Pelze reinigen würde. Das täte er nicht, sagte dieser und der Ritter nickte verständnisvoll. Dann schaute er zu Milgrim herüber. Ihre Blicke trafen sich und Milgrim nickte ebenfalls, ohne zu wissen warum.
Der Ritter ging hinaus. Durch das Fenster sah Milgrim, wie er zu einem bemerkenswert ähnlichen zweiten schwarzen Mann trat, der einen ebensolchen Ledermantel trug. Sie gingen in südlicher Richtung davon, die Lafayette hinunter, in den gleichen Mützen aus schwarzer Wolle, und waren im Nu verschwunden.
Als Milgrim seine leere Styroporschachtel und die Aluschalen aufräumte, nagte ein Gefühl an ihm, irgendeiner Tatsache nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Aber er konnte sich noch so anstrengen, er kam nicht darauf, was es hätte sein können.
Es war ein sehr langer Tag gewesen.
24. MOHN
Votivlichter brannten in ihrem abgedunkelten Hotelzimmer. An dem ganz in Weiß gehaltenen Bett mit seinen schimmernden Laken stand ein frisch gefüllter Wasserkrug. Sie legte den Karton, den Hundertdollarnoten-Umschlag vom toten Jimmy Carlyle und ihre improvisierte Abendtasche auf der Marmorplatte des langbeinigen Kitchenette-Tischs ab.
Mit der kleinen, nicht sehr scharfen Klinge im Griff des Korkenziehers schlitzte sie das durchsichtige Klebeband auf dem Karton auf.
Da lag eine schlichte graue Karte mit einer Notiz in einersonderbar sumerisch wirkenden Schrift auf gefalteter Blisterfolie: »Sie brauchen Ihren eigenen. Einfach auf On drücken. H.«
Hollis legte die Karte beiseite und hob die Blisterfolie an. Ein Ding in Schwarz und mattem Silber. Als sie es herauszog, entpuppte es sich als eine wesentlich durchgestyltere Version des kabellosen Helms, mit dem sie bei Bobby Chombo den Kraken betrachtet hatte. In einer Aussparung waren dieselben einfachen Tastfelder zu sehen. Sie drehte den Helm herum, auf der Suche nach einem Herstellerlogo, entdeckte aber nur MADE IN CHINA in winzigen Reliefbuchstaben. Von dort kamen ja die meisten Dinge.
Sie probierte den Helm, um sich im Kerzenlicht in einem Spiegel zu betrachten, aber dabei berührte sie wohl eines der Tastfelder. »Locative Art, eine Installation in deine Zimmer«, sagte Odile, und es klang, als wäre sie nur Zentimeter von Hollis Ohr entfernt. Hollis fand sich auf ihrem frisch gemachten Bett wieder, beide Hände an Bigends Helm, so überraschend kam das. »Monets Mohn. Rotsch.« Rotsch? »Mohn und der Hintergrund sind äquiluminant.«
Und da waren sie, die Mohnblumen, leicht schwankend, in rötlichem Orange, angeordnet zu einem Feld, das ihr Zimmer bis auf Höhe der Bettkante ausfüllte.
Hollis bewegte ihren Kopf von einer Seite zur anderen und betrachtete die Lichteffekte. »Das ist eine Teil von eine Serie. Die Argenteuil-Serie der Künstlerin. Rotsch.« Da war es wieder. »Sie macht Räume voll überall mit Monets Mohn. Rufst du mir an, wenn du hast bekommen das. Wir müssen sprechen, über Chombo auch.« Sie sagte ›Schombo‹.
»Odile?« Aber natürlich war es eine Aufnahme gewesen. Sie setzte sich aus der Hocke richtig aufs Bett und fuhr mit der linken Hand durch die Mohnblumen, die gar nicht da waren. Sie konnte sie fast fühlen. Dann schwang sie die Füße auf den Boden: Mohnblumen um ihre Knie. Sie watete durch das Mohnfeld zu den mehrlagigen Vorhängen und hatte für einen Moment das Gefühl, die Blüten trieben auf einer eingeschlossenen stillen Wasserfläche. Ob die Künstlerin das beabsichtigt hatte?
Am Fenster angekommen schob sie die
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