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auf den Teppich und spähte unter die Kommode. Nichts.
Der kleine, angedeutet koloniale Schreibtisch, der wie die Kommode einen fantasielos auf alt getrimmten, blauen Anstrich hatte, bot wenig mehr: eine tote Fliege und einen schwarzen Kugelschreiber mit der weißen Aufschrift PROPERTY OF U.S. GOVERNMENT. In Ermangelung einer Hosentasche steckte Milgrim den Kugelschreiber in den Gummibund seiner Unterhose und öffnete vorsichtig das, was er für eine Schranktür hielt. Die Scharniere, lange nicht benutzt, quietschten. Leere Kleiderbügel klapperten an einem Haken. Auf einem anderen Kleiderbügel hing ein kleiner Marineblazer mit einem aufwendigen goldenen Stickemblem. Milgrim durchsuchte die Taschen und fand ein zerknülltes Kleenex und einen Kreidestummel.
Der Jungenblazer und das Kreidestück machten ihn traurig. Er mochte die Vorstellung nicht, dass das hier ein Kinderzimmer gewesen war. Vielleicht waren hier ja einmal noch andere Dinge gewesen, Bücher und Spielsachen, aber irgendwie sah es nicht danach aus. Das Zimmer zeugte von einer schwierigen Kindheit, vielleicht gar nicht so verschieden von der, die Milgrim gehabt hatte. Er schloss die Schranktür und ging zu dem blauen Stuhl mit Lederrücken, auf dem seine Kleider lagen. Beim Anziehen der Hose stach er sich mit dem U.S.-Government-Kuli, den er ganz vergessen hatte.
Angezogen ging er zu den geschlossenen Streifenvorhängen des einzigen Fensters im Raum. Er stellte sich so, dass er den äußeren Rand des einen Vorhangs nur ganz wenig bewegen musste, um hinauszublicken. Das da draußen musste die N Street sein, an einem bedeckten Tag. Aber sein Standort ließ ihn auch den rechten vorderen Kotflügel eines geparkten Autos sehen, schwarz und auf Hochglanz poliert. Ein großes Auto, dem Kotflügel nach zu schließen.
Er zog den Paul-Stuart-Mantel an, entdeckte das Buch in der Tasche, klemmte den Kuli in die Brusttasche innen und drückte die Klinke an der Tür, die unverschlossen war.
Ein getäfelter, mit Teppich ausgelegter Korridor, erhellt durch ein Oberlicht. Er sah über das Geländer zwei Treppen hinunter zu dem sanft schimmernden, grauen Marmor der Eingangshalle, durch die sie gestern Abend das Haus betreten hatten. Einer dieser in der Hausmitte gelegenen, raumsparenden Treppenaufgänge, die man in Häusern dieses Alters findet, sehr lang und schmal, über die ganze Tiefe des Hauses hinweg. Neben seinem Ohr klapperte ein Löffel an Porzellan. Er fuhr heftig zusammen und wirbelte herum. »Ich bin darüber sehr froh«, sagte ein unsichtbarer Brown mit ungewöhnlich dankbarer Stimme.
Der Korridor war leer.
»Mir ist klar, womit Sie sich herumschlagen müssen«, sagte eine Stimme, die Milgrim noch nie zuvor gehört hatte. Dieser Sprecher war ebenfalls nahe und gleichzeitig unsichtbar. »Sie nehmen die besten Männer, die Sie kriegen können, und müssen dann feststellen, dass sie versagen. Das passiert leider viel zu oft. Natürlich bin ich enttäuscht, dass Sie ihn nicht ergreifen konnten. Angesichts Ihrer vorangegangenen Misserfolge wäre es natürlich schlau gewesen, wenigstens entsprechende Vorbereitungen zu treffen, ihn zu fotografieren, meinen Sie nicht? Vorbereitet zu sein, ihn zumindest zu fotografieren, falls er wieder entkommt.« Der Mann sprach im Tonfall eines Juristen, dachte Milgrim. Langsam und deutlich, als wäre es für ihn selbstverständlich, dass man ihm Aufmerksamkeit schenkte.
»Ja, Sir«, sagte Brown.
»Dann hätten wir zumindest die Chance herauszufinden, wer er ist.«
»Ja.«
Mit weit aufgerissenen Augen umklammerte Milgrim den Holm des Geländers wie die Reling eines Schiffs im Sturm und starrte hinunter zu dem schmalen Streifen Marmor weit unten. Er schmeckte Blut. Offensichtlich hatte er sich in die Backe gebissen, als der Löffel gegen die Tasse klirrte. Browns Frühstücksunterhaltung wurde von dem Marmorfußboden nach oben geworfen, vermutete er, oder in diesem schmalen Treppenschacht im Federal Style nach oben gesaugt, oder beides. Hatten hier schon vor hundert Jahren Kinder gestanden und ihr Gekicher über die Unterhaltungen Erwachsener unterdrückt?
»Sie sagen, die für ihn bestimmte Information legt nahe, dass er noch immer nicht über die Fähigkeit zum Aufspüren verfügt und daher weder den Aufenthaltsort kennt, noch etwaige Ziele vorhersagen kann.«
»Wer auch immer bisher daran arbeitet, scheint die Sache nicht geregelt zu kriegen«, meinte Brown.
»Und unsere Freunde«, sagte der andere, »wenn sie das
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