Quellen Der Lust
„In dieser Garderobe kann ich mich unmöglich meiner neuen Aufgabe widmen. Und sollte Mr. Bickering sich als ungeeignet herausstellen, müssen wir bis zum nächsten Kandidaten weiterreisen.“
Jack murmelte eine unverständliche Antwort, drehte sich um und schritt die Stufen hinunter zur Kutsche. Als sie ihm mit Mercy im Schlepptau folgte, bemerkte er plötzlich, dass die alte Dienerin einen Hut und Reisekleidung trug.
„Was soll denn nun das ?“ Er schaute Mariah gereizt an.
„Meine Zofe.“ Sein ungläubiger Blick schien sie nicht aus der Fassung zu bringen. „Eine respektable Dame reist niemals ohne Begleiterin.“
Mercy hob übertrieben würdevoll ihr Kinn und hielt Jack ihre Hand entgegen, damit er ihr beim Einsteigen behilflich sein könne. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, doch er sammelte sich, bot ihr den Arm und war anschließend Mariah behilflich.
Mercy, die das Reisen nicht gewöhnt war, hatte sich auf der Bank in Fahrtrichtung niedergelassen. Ohne ihren Fauxpas zu korrigieren, setzte Mariah sich neben sie, sodass Jack entgegen der Fahrtrichtung Platz nehmen musste. Er verbiss sich einen Kommentar, lehnte sich zurück gegen die Polster und klopfte mit seinem Stock gegen das Dach der Kutsche. Diese setzte sich in Gang, begleitet von einem erschrockenen Aufschrei und darauffolgenden Kichern von Mercy.
Die Sonne schien ins Innere der Kutsche, in der es rasch recht warm wurde. Jack öffnete eines der Fenster, um frische Luft hineinzulassen und es dauerte nicht lange, bis Mariah ihre Reisedecke über sich ausbreitete.
„Bin noch nie nach Lincoln gekommen“, sagte Mercy und starrte mit offenem Mund aus dem Fenster. „Der Gutsherr blieb meistens zuhause. Sagte immer, er sei genug gereist in seinem Leben. Wurde sesshaft, als Miss Mariah zu uns kam. Davor fuhr er oft nach Lincoln und kam jedes Mal in schlimmem Zustand zurück, als ob er …“
„Mercy“, unterbrach sie Mariah scharf, die fürchtete, dass ihre Magd zu viel aus dem Nähkästchen plaudern würde. „Mercy, ist dir kalt?“
„Ach was. Ich hab meine warme Unterwäsche an.“ Sie blickte Jack an. „Er war bei der East India Company, wissen Sie. Deshalb liegen bei uns überall diese Teppiche mit den Schnörkeln drauf rum.“
„War mir gar nicht aufgefallen“, erwiderte Jack und warf Mariah einen Blick zu, der ihr die Schuld daran zu geben schien, dass er sich dieses Geplapper anhören musste.
„Hat sie alle aus Indien mitgebracht“, fuhr Mercy fort. „Das und dann noch alle möglichen Schwerter und Schilder und Truhen voller Federn, und Öle. Und war immer nur in seine Bücher vertieft. Jedenfalls bis Miss Mariah kam.“ Sie grinste. „Danach hatte er für Bücher keine Zeit mehr. Hatte nur noch Augen für sie .“
„Wirklich, Mercy“, sagte Mariah eilig, „ich bin mir sicher, dass dies für Mr. St. Lawrence völlig uninteressant ist.“
„Nein, überhaupt nicht“, protestierte Jack. „Was war denn der Gutsherr für ein Mann?“
„Sehr gut aussehend in seinen jungen Jahren.“ Mercy ignorierte Mariahs wachsende Verärgerung. „Groß, aber nicht hager. Silbernes Haar. Gebildeter Mann. Und hatte seine Angewohnheiten. Die Köchin sagt, er trank immer einen Brandy davor und sein …“
„Mercy!“, fuhr Mariah auf, worauf die alte Frau sie verwundert ansah. „Hör auf, Mr. St. Lawrence mit Dienstbotengeschwätz zu langweilen.“
„Oh, unterschätzen Sie nicht mein Interesse an Klatsch und Tratsch, Mrs. Eller. Ich bin ganz Ohr.“ Er schenkte Mercy ein Lächeln, das sie geschmeichelt erwiderte. „Fahren Sie doch fort.“
„Er war lange Zeit Junggeselle.“ Mercy gluckste. „Sagte immer, wieso soll ich eine einzige Blume pflücken, wenn ich mich an einem ganzen Garten erfreuen kann?“
„Eine verständliche Frage“, sagte Jack. „Was hat ihn seine Meinung ändern lassen?“
„Die Herrin natürlich. Er fuhr eines Tages nach Lincoln, wie gewöhnlich, und kam einige Tage später mit einer Braut zurück. Sagte, er habe sich gefühlt, als habe ihn der Blitz getroffen, als er sie sah. Völlig hin und weg von ihrer Schönheit war er.“
Und nicht nur von ihrer Schönheit. Mariah wurde rot. Sie hatte nicht die geringste Lust, dass Mercy ihre Erzählung fortsetzte und Jack die verklärte Fabel ihres ersten Treffens auf die Nase band. Ihr Mann hatte gerne davon erzählt, um sie aufzuziehen und um die Neugier der Dienstboten zu befriedigen.
„Ihr Vater war gerade gestorben, und der alte Mason brauchte
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