Quellen Der Lust
Namen noch den Beruf wusste. Einem Mann, der sie angelogen hatte. Und von dem sie glauben würde, dass er sie ausgenutzt hatte.
Verdammt.
Er blickte zu Waverlys Leichnam hinter ihr. Dann warf er einen Blick auf ihre Pelerine, deren blassgraue Wolle er mit seinem Blut ruiniert hatte. Die Kompressen wiesen alle möglichen Farben auf, von Scharlachrot bis zu hellem Rosa. Endlich blickte er dorthin, wo sie seine Hände festhielt, ihre Hände ohne Handschuhe und mit seinem Blut beschmiert. Würde dies das letzte Mal sein, dass er sie berührte?
Er schluckte, dann sah er ihr in die Augen. „Gestern hast du mir gestanden, dass du nicht ganz ehrlich zu mir gewesen bist, dass deine Lebensumstände anders waren, als du es mich glauben machen wolltest. Jetzt muss ich dir dasselbe sagen. Ich arbeite nicht für einen Mr. Jonas-Smythe. Tatsächlich gibt es niemand dieses Namens. Ich arbeite für die Krone.“
Sie sah ihn verwirrt an. „Du bist ein Verwalter der Krone?“
„Nein. Ich sammle Informationen und helfe dabei, Menschen zu stellen, deren Handlungen unserem Land Schaden zufügen könnten.“
Sie blinzelte. „Du bist – ein Spion?“
„Ja.“
„Ein Spion“, wiederholte sie verwirrt. „Wie lange schon?“
„Acht Jahre.“
„Und wie bist du dazu gekommen?“
„Ich habe mich freiwillig gemeldet.“ Er zögerte und fuhr dann fort: „Meine Familie ist sehr reich, und mir hat es nie an etwas gefehlt. Bis vor acht Jahren habe ich stets nur meine eigenen Interessen verfolgt, mir alle Wünsche erfüllt und mir nichts versagt. Eines Nachts, während ich mit einer Gruppe von Freunden umherzog, gingen wir in eine Schenke, eine in einer weniger angesehenen Gegend als die, die wir sonst besuchten. Ich begann ein Gespräch mit dem Mann, der hinterm Tresen stand. Sein Name war Billy. Ich fragte ihn, wie er dazu gekommen war, dort zu arbeiten – nicht, weil es mich wirklich interessierte, sondern weil ich dachte, seine Worte könnten mich vielleicht zum Lachen bringen. Stattdessen hat er mich – verändert.“
Er hielt inne, von Scham erfüllt wie jedes Mal, wenn er sich an seine oberflächliche, selbstsüchtige Jugendzeit erinnerte. „Wie das?“, wollte sie wissen.
„Er hat mir von seinem Leben erzählt. Er diente bei der Marine und wäre um ein Haar im Kampf gestorben. Er überlebte, verlor aber ein Bein. Als er heimkam, brauchte er Arbeit. Er hatte eine Frau und einen Sohn, für die er sorgen musste. Einer seiner Freunde besaß eine Schenke, und seither arbeitete er dort. Ihm zuzuhören, wie er von der Schlacht sprach, wie schmerzhaft es für ihn sein musste, stundenlang hinterm Tresen zu stehen, dass er das alles aus Liebe zu seiner Frau und seinem Kind tat, das machte mich nachdenklich. Es veranlasste mich, mich selbst und mein Leben zu betrachten. Und was ich sah, gefiel mir nicht besonders. Ich sah, dass andere Männer ihrem Land dienten, während ich selbst von Ball zu Ball zog, von Club zu Club, von Vergnügen zu Vergnügen, von einer nutzlosen Beschäftigung zur nächsten. Ehrlich gesagt, fühlte ich mich von mir selbst angewidert. Ich wollte mich ändern. Etwas Wichtiges tun. Etwas Gutes. Etwas, auf das ich stolz sein konnte.“
Sie nickte langsam. „Ich verstehe. Wenn wir uns also vor acht Jahren getroffen hätten, hätte ich dich nicht gemocht.“
„Vermutlich nicht. Ich wüsste nicht, wie du mich hättest mögen sollen, wenn ich mich selbst nicht mochte.“
„Und jetzt? Magst du dich jetzt?“
„Gerade jetzt im Augenblick – nicht sehr. Ich habe dich belogen. Aber im Allgemeinen – ja. Ich bin stolz auf die Arbeit, die ich geleistet habe. Die Leute, denen ich geholfen habe. Die Leben, die ich beschützt und gerettet habe. Unglücklicherweise bringt diese Arbeit Geheimnisse mit sich, und mit den Geheimnissen kommen die Lügen. Acht Jahre lang habe ich meine Freunde und meine Familie belogen – keiner von ihnen weiß, was ich dir gerade erzählt habe.“ Er drückte ihre Hände ganz leicht. „Ich hätte dich nicht belogen, Genevieve, wenn es nicht absolut notwendig gewesen wäre.“
Sie nickte langsam. „All das bedeutet, dass du nicht nach Little Longstone gekommen bist, um Ferien zu machen, während dein Dienstherr auf seiner Hochzeitsreise war.“
„Nein, das bin ich nicht.“ Er holte tief Luft und zwang sich dazu, die Worte auszusprechen, von denen er wusste, dass damit all die Liebe aus ihren Augen verschwinden würde. „Ich bin nach Little Longstone gekommen, um dich zu
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