Quellen Der Lust
nur eine Gefahr für dich und mich darstellte, sondern auch für England. Ich wollte es dir so schnell wie möglich erzählen. Ich wollte dir niemals wehtun.“
Aber er hatte es getan. Er sah es ihr an. Und selbst wenn sie ihm verzieh, so würde sie es doch niemals vergessen, das wusste er. Und niemals mehr würde sie ihn so liebevoll ansehen wie vorhin, als er die Augen geöffnet hatte. Er versuchte, sich daran zu erinnern, dass er in wenigen Stunden, sobald er reisefähig war, nach London unterwegs sein würde. Er würde sie nie wieder sehen. Aber bei diesem Gedanken ging es ihm nicht besser. Stattdessen fühlte er sich, als risse ihm das Herz entzwei.
Ohne eine Antwort stand sie auf und bewegte sich dabei, als trüge sie eine enorme Last. Sie kehrte ihm den Rücken zu und ging langsam zur Treppe.
„Wohin gehst du?“
Sie hielt inne, dann sah sie ihn über die Schulter hinweg an. „Ich gehe dir deinen Brief holen. Das ist schließlich der Grund, warum du hier bist.“
Simon sah ihr zu, wie sie mit schweren Schritten die Treppe hinaufstieg. Nachdem sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, stand er mühsam auf, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und schloss die Augen, um das Schwindelgefühl zu bekämpfen. Als er die Augen wieder öffnete, sah er das gefaltete Blatt Papier, das er Waverly angeboten hatte – das Blatt, das ihn gerettet hatte. Vorsichtig, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hob er es auf und schob es zurück in seine Westentasche. Als Genevieve zurückkam, hatte er das Gleichgewicht wiedergefunden.
Sie stand vor ihm, in der Hand einen vergoldeten Bilderrahmen. Ihre Miene blieb ausdruckslos, als hätte sie einen Vorhang vor ihre Gefühle gezogen. „Mit der Schatulle schickte Richard mir eine Nachricht – eine Nachricht, die ich auf sein Geheiß hin vernichtete. Sie besagte, dass er deswegen bald kommen würde. Obwohl Monate vergangen waren seit unserer Trennung, kränkte mich immer noch die Art und Weise, wie er mich entlassen hatte, ebenso wie die Tatsache, dass er sich beinahe sofort eine neue Mätresse genommen hatte, eine sehr junge, sehr schöne Frau. Er besaß nicht einmal den Anstand, es mir ins Gesicht zu sagen, dass er unserem Arrangement ein Ende bereiten wollte. Er schickte mir nur eine Nachricht.“
Sie presste die Lippen zusammen und fuhr dann fort: „Ich wusste, dass die Schatulle von großer Bedeutung sein musste, und ich wollte unbedingt, dass er mir gegenüberstand, wenn er sie abholte. Ich habe Stunden gebraucht, um die Kombination herauszufinden, aber dann habe ich den Brief darin entdeckt. Ich befürchtete, dass er überall gefunden werden konnte, so wie ich befürchtete, dass Richard versuchen würde, die Schatulle und den Inhalt zurückzubekommen, ohne mich zu sehen. Ich wollte das nicht. Daher versteckte ich den Brief dort, wo ihn alle sehen konnten, indem ich ihn an meine Schlafzimmerwand hängte, zwischen all meinen Kunstwerken und Abschriften meiner Lieblingsgedichte.“ Sie hielt ihm den Rahmen entgegen. „Hier.“
Simon nahm den Rahmen und starrte auf den handgeschriebenen Brief hinter dem Glas. „Sehr klug“, sagte er bewundernd. „Ich habe das in deinem Schlafzimmer gesehen – aber nicht richtig wahrgenommen.“ Er las die Worte, die nichts als eine recht langweilige Beschreibung eines Tages auf dem Lande zu sein schienen, und presste die Lippen zusammen. „Es ist verschlüsselt, wie ich es vermutet hatte. Aber nach Ridgemoors letzten Worten wird diese Nachricht Waverlys Schuld beweisen und meine Unschuld. Was bedeutet, ich verdanke dir mein Leben. Hierfür und weil du mich versorgt hast, als ich angeschossen wurde. Danke, Genevieve.“
Ein Hauch von Wärme erschien in ihren ausdruckslosen Augen. „Schon gut. Ich – ich hasse es, dass du mich belogen hast, und ich kann nicht leugnen, dass ich mich verraten fühle. Aber da ich selbst viele Lügen erzählt habe, bin ich nicht gerade in der Position, jemanden zu verurteilen. Ich verstehe, dass du nur getan hast, was du tun musstest.“
Er sah ihr in die Augen. „Wirklich? Ich versichere dir, als wir zusammen waren, habe ich dich nicht ausgenutzt. Du sollst wissen, dass es – wie auch immer es begonnen haben mag – sich rasch änderte und – mehr wurde.“
„Ja, das wurde es wohl.“ Sie betrachtete den Rahmen. „Ich bin froh, dass du hast, was du wolltest.“
Ermutigt von ihren Worten und dem Hauch von Wärme, trat er einen Schritt näher. Als sie nicht zurückwich, schlug sein
Weitere Kostenlose Bücher