Quellen Der Lust
finden. Um den Brief zu holen, den Lord Ridgemoor dir zur Aufbewahrung geschickt hatte.“
Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Beinahe glaubte er zu sehen, wie sich das Bild in ihrem Kopf zusammenfügte. Und dann verschwand jedes Gefühl aus ihren Augen, und sie blickte ihn an, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Ohne ein Wort entzog sie ihm langsam ihre Hände. Am liebsten hätte er sie festgehalten, um die Verbindung zu bewahren, doch er ließ sie los. Es fühlte sich an, als hätte er einen Stich mitten ins Herz erhalten.
„Sag mir, woher du das weißt“, sagte sie mit bebender Stimme.
Und so erzählte es ihr. Alles. Von Waverlys Plan, Ridgemoor zu töten und das Simon in die Schuhe zu schieben. Von Ridgemoors letzten Worten. Von Simons Vertrauen zu Waverly und wie er die Zeit bekommen hatte, seinen Namen reinzuwaschen. Wie er das Cottage gemietet hatte. Wie er mehrmals ihr Haus durchsucht hatte. Wie sie ihn beim ersten Mal fast ertappt hatte. Schweigend hörte sie all dem zu, ohne den Blick von ihm zu wenden, wurde nur immer stiller dabei, bis sie, als er fertig war, ihn ganz ausdruckslos ansah.
Eine volle Minute lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Er sehnte sich so sehr danach, sie zu berühren, aber er wusste, er wusste, sie würde sich ihm entziehen. Und er wusste auch, dass dann der letzte Rest seines Herzens brechen würde, der noch intakt war.
„Richard ist tot“, sagte sie endlich mit einer Stimme, die so beherrscht war wie ihre Miene.
„Ja, es tut mir leid. Ich weiß, du hast ihn geliebt.“
„Du wusstest die ganze Zeit über, dass ich keine Witwe war. Dass ich seine Geliebte gewesen bin.“
„Ja.“
„Du hast dich mit mir angefreundet, mit mir geflirtet, Zeit mit mir verbracht, hast mich verführt – all das, um den Brief zu bekommen.“
„Nein …“
Sie hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ihre Augen wirkten jetzt nicht mehr leer, sondern waren voller Schmerz und Zorn, die ihm das Herz zu zerreißen drohten. „Belüg mich nie wieder, Simon.“
„Ich lüge nicht. Ich gebe zu, dass ich deswegen hierher gekommen bin und dich anfangs auch deswegen aufsuchte. Aber nachdem ich dich getroffen hatte – du warst anders, als ich es erwartet hatte. Genevieve, was wir miteinander erlebt hatten, war echt.“
Sie funkelte ihn wütend an. „Echt? Es beruhte auf nichts als Lügen. Wenn du diesen verdammten Brief so unbedingt haben wolltest, warum hast du mich dann nicht einfach danach gefragt?“
Er antwortete nicht gleich, und plötzlich sah er, wie ihr die Erkenntnis dämmerte. „Liebe Güte, du hast mich nicht gefragt, weil du dachtest, ich könnte irgendetwas mit Richards Tod zu tun haben!“
„Ich konnte diese Möglichkeit nicht ausschließen.“
„Du warst also nicht nur bereit, mich für den Brief zu verführen, du hast es getan, obwohl du glaubtest, dass ich möglicherweise direkt oder indirekt für den Tod meines früheren Liebhabers verantwortlich sein könnte.“ Sie lachte ungläubig. „Darauf kannst du stolz sein?“
Ohne nachzudenken griff er nach ihrer Hand. Sie zuckte zurück, als hätte er sie verbrannt, und er ließ den Arm sinken. „Zuerst konnte ich dir nicht die Wahrheit sagen. Das Wenige, was ich von dir wusste, musste ich aus den letzten Worten eines sterbenden Mannes schließen. Und seine Worte – das kannst du nicht leugnen – konnten wenig Vertrauen erwecken. Ich kann dir nur sagen, dass jeder Augenblick in deiner Gesellschaft mich mehr von deiner Unschuld überzeugte.“
„Und trotzdem hast du mir nicht die Wahrheit gesagt. Oder mich nach dem Brief gefragt.“
„Ich wollte es tun, sobald ich heute Morgen zum Cottage zurückkehrte.“
Noch ein bitteres Lachen. „Weil du ihn nicht finden konntest, obwohl du die ganze Nacht danach gesucht hattest. Und meine persönliche Habe durchwühltest. Wieder einmal.“
Ihm fielen einige Möglichkeiten ein, das etwas netter auszudrücken, aber wozu? Sie hatte recht. „Ja.“ Er räusperte sich. „Und was deine Verführung betrifft – du sollst wissen, meine Mission und der Brief waren das Letzte, woran ich dachte, wenn wir zusammen waren. Und dass – dass mir viel an dir liegt.“
Die Glut in ihren Augen erlosch wie die erstickte Flamme einer Kerze. „Dir liegt an mir“, wiederholte sie ausdruckslos. „Ja. Das ist offensichtlich.“
Ein Gefühl von Panik erfasste ihn. Er musste sie dazu bringen, das zu verstehen. „Genevieve, ich versuchte, einen Mörder zu fassen, einen Mann, der nicht
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