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Quellen innerer Kraft

Quellen innerer Kraft

Titel: Quellen innerer Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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die von nichts erweicht wird“.
    Die Beschreibung der Tapferkeit durch Thomas von Aquin und Josef Pieper, der die scholastische Philosophie in unsere Zeit übersetzt, lässt uns erahnen, dass auch diese Tugend eine wichtige Quelle ist, aus der wir schöpfen können. Die Frage ist, ob uns diese Quelle einfach gegeben ist oder ob wir sie erwerben können. Auch die Griechen sehen in der Tugend immer beides: eine Kraftquelle, die uns Gott geschenkt hat, und eine Haltung, in die wir hineinwachsen müssen, indem wir an uns arbeiten und uns in die Gestalt hinein bilden, die Gott uns zugedacht hat. Wenn wir uns um die Tugend der Tapferkeit mühen, dann wird sie uns Kraft verleihen, unser Leben zu bestehen. Wir werden nicht vor jeder Auseinandersetzung davonlaufen. Wir werden nicht jeden Konflikt als Zumutung erleben, der uns alle Kraft raubt. Vielmehr spornt uns die Tapferkeit an, uns den Konflikten zu stellen und an ihnen zu wachsen.

    Die Tugend des rechten Maßes ist die dritte Kardinaltugend. Sie verlangt zuerst, dass ich mein Maß erkenne. Erst dann vermag ich, meinem Maß entsprechend zu leben. Jeder Mensch hat seine Veranlagung, sein je eigenes Potential an Kräften und Fähigkeiten. Das eigene Maß zu erkennen, heißt auszuloten, was ich zu leisten vermag und was in mir an Möglichkeiten steckt. Wer gegen sein Maß lebt, wird krank. Der Maßlose überfordert sich selbst und lebt letztlich an sich vorbei. Im Griechischen heißt diese Tugend „sophrosyne = ordnende Verständigkeit“. Die Lateiner sprechen von „temperantia“. „Temperare“ heißt: richtig ordnen, zusammenfügen, zügeln, schonen. Es gehört also zu dieser Tugend die Fähigkeit, das eigene Leben so zu ordnen, wie es meinem Wesen und meinem Maß, meiner „mensura“ entspricht. Das Ziel des rechten Maßes ist die Ruhe der Seele, die innere Ausgeglichenheit, der Einklang mit mir selbst. Doch das erreiche ich nur, wenn ich alles in mir richtig ordne.
    Die Tugend des Maßes war im Mittelalter eine ritterliche Tugend. Sie erfordert eine hohe Disziplin. Disziplin ist die Kunst, das Leben in die Hand zu nehmen und es so zu ordnen, wie es meinem inneren Wesen entspricht. Wer sein eigenes Maß erkannt hat, der wird seine Kräfte bündeln und auf das eigene Ziel konzentrieren. Das verlangt, auf alles zu verzichten, was dieses Maß überschreitet. Das Maßvolle ist für die Griechen immer auch das Schöne. Wer sein Maß kennt, der überfordert sich nicht. Aber er unterfordert sich auch nicht. Das rechte Maß ist nicht Mittelmäßigkeit, sondern die Erkenntnis, was meinem Wesen entspricht, und die Bereitschaft, diesem Wesen gemäß zu leben. Wer seinem Maß entsprechend lebt, der wird seine innere Quelle nie ausbeuten. Er wird immer aus ihr schöpfen können. Sein Maß hat man nie ein für alle Mal gefunden. Ich muss immer wieder neuausprobieren, was gerade jetzt mein Maß ist. Ich habe es überschritten, wenn ich verbittert werde. Ich habe es noch nicht gefunden, wenn ich innerlich erschlaffe. Das Maß hat immer auch mit gesunder Spannung zu tun. Spannung erzeugt Energie. Es braucht ein ständiges Austarieren, welche Spannung für mich stimmt. Aus Angst vor lauter Stress finden heute viele Menschen ihr Maß nicht. Die Psychologie spricht heute von „Eustress“. Es gibt nicht nur die krankmachende, sondern auch die gute Spannung, die Leben und Energie in mir erzeugt. Und es gibt die Unterspannung, die den Energiestrom in mir zusammen brechen lässt. Wer in sich keine Spannung mehr wahrnimmt, für den wird das Leben selbst zur Last. Er tut nach außen gar nichts. Schon die Tatsache, dass er lebt, wird für ihn zur Anstrengung, unter der er stöhnt. Das rechte Maß zu finden heißt daher auch, die Spannung zu entdecken, die in mir Energie erzeugt. Weder Überspannung noch Unterspannung tut mir gut, sondern allein das Maß, das Gott mir zugemessen hat. Um es zu entdecken, muss ich freilich bis an die Grenzen des Maßes gehen. Sonst werde ich es immer zu klein bemessen.

    Klugheit, die vierte Kardinaltugend, ist die Fähigkeit, herauszufinden, was hier und jetzt für mich und für die anderen angemessen und zuträglich ist. Die Klugheit setzt nach Thomas von Aquin immer die Erkenntnis des Guten voraus. Sie ist mehr als Wissen und immer auf das Tun ausgerichtet. Für Aristoteles ist die Klugheit die Voraussetzung aller Tugenden. Er nennt sie die Wagenlenkerin der Tugenden. Ich muss erst die Wirklichkeit richtig erkennen. Dann kann ich richtig handeln. Die

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