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Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Titel: Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Calsow
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Hanfseile hingen an der Wand. Ein intakter und der von Hannah zerstörte Liegestuhl lagen, ineinander verhakt, auf dem Boden. An der Wand stand ein kleines Regal mit Flaschen. Mit eingezogenem Kopf schritt Hannah darauf zu, das Feuerzeug vor ihr Gesicht haltend wie eine Kerze in der Osternacht.
    »Schau an, die Herrschaften bunkern hier den Alkohol. Den können wir gebrauchen.«
    Hannah zog eine braune Tonflasche aus dem Regal und sah sich weiter um. Sie fand mehrere nach Motten und Schimmel riechende Decken des Roten Kreuzes. Als sie zu Quercher zurückkam, stieß sie kurz gegen seinen Fuß. Er schrie auf.
    »Hier«, sie reichte ihm die Flasche. »Trink das!«
    Er hielt die Flasche ganz nah an sein Gesicht und las. » Bayerischer Gebirgsenzian. Der hat mindestens vierzig Umdrehungen! Bist du wahnsinnig?«
    »Trink. Du wirst gleich noch mehr Schmerzen haben, wenn ich das Bein schiene.« Hannah ließ den Verschluss des Zippos wieder zufallen. »Wir werden das Benzin brauchen. Trinken kannst du wohl auch im Dunkeln.«
    Es dauerte einige Augenblicke, bis er die Flasche an seine Lippen ansetzen und trinken konnte. Sofort wurde ihm warm. Quercher war klar, dass Alkohol in der Kälte das denkbar schlechteste Mittel war. Er würde deutlich schneller auskühlen. Aber Hannah legte ihm die muffigen Decken über den Körper. Er trank in tiefen Schlucken, obwohl alles schmerzte und der Schnaps übel in seiner Kehle brannte. Denn er wusste, was auf ihn zukam. Der Alkohol wirkte schnell. Hannah machte sich an die Arbeit.
    Quercher hatte tief geschlafen. Als er wieder erwachte, hatte Hannah mit altem Papier und Holzspeiteln ein kleines Feuer entfacht. Hannah musste eine kleine Kerze gefunden haben, die sie in eine Felsspalte gestellt hatte. Der Hund lag neben ihm, den Kopf unter seinen Achseln. Als Lumpi sah, dass er erwacht war, stieß sie mit der Schnauze an seinen Hals. Er strich ihr über den Kopf und schlug etwas von seiner Decke über sie. »Wie lange habe ich gedämmert?«
    »Vier Stunden«, kam es von links.
    Er schloss wieder die Augen, dann sah er auf seine Uhr. Es war tatsächlich zweiundzwanzig Uhr. Arzu würde sie vermissen, die Bergwacht alarmieren, und bald wären sie gerettet. Das war Querchers Hoffnung. Aber hätten sie dann nicht schon längst etwas hören müssen? Er drehte seinen Kopf nach links. Jetzt kam der Kopfschmerz. Ihm war übel. Er hatte den ekligen Geschmack des alten Enzians im Mund.
    »Hast du schon geprüft, ob wir hier rauskönnen? Irgendeine Möglichkeit, nach oben zu kommen?«, fragte er mit müder Stimme.
    Er sah, wie sie leicht ihren Kopf schüttelte. Sie las in Schlickenrieders Aufzeichnungen. Es war ihr Verrat, der ihn so schmerzte. Quercher war grundsätzlich anderen Menschen gegenüber misstrauisch, eine Berufskrankheit, sicher. Dazu kam sein Eigensinn. Ein Charakterzug, der normalerweise jeden abschreckte, der sich ihm näherte. Sagte er Nein, meinte er das und wich nur selten davon ab. Streit vermied er meist, ging einfach. Seine Exfrau wusste ein Lied davon zu singen.
    Dann aber war Hannah erschienen. So alt wie er, selbstbewusst und aggressiv. Und sie roch wie er nach Alleinsein. Das hatte ihm gefallen. Und es hatte ihm jede Vorsicht genommen.
    Er nahm einen tiefen Schluck Enzian und genoss die stechende Wärme, die für kurze Zeit in seinem Leib herrschte. Er kannte keine Details. Aber war das wichtig? Sie war nicht die Hannah, die ihren Großvater heim in die USA holen wollte. Es war gerade einmal wenige Stunden her, da hatte er ihr zur Seite stehen wollen. Aber jetzt sah er sie distanziert an, wie sie da im Schein der Kerze in den Kladden las.
    Sie blickte kurz auf, als sie spürte, dass er sie beobachtete. »Wie geht es dir?«, fragte sie.
    Er zuckte mit den Schultern. Das Bein schmerzte kaum noch. Es fühlte sich fast taub an. Nur wenn er sich in eine neue Position drehen wollte, stach es höllisch bis hinauf in seinen Leib.
    »Ich habe es gekühlt. Aber es darf nicht zu viel Schnee darauf liegen. Sonst bekommst du Erfrierungen. Ich bin hier gleich fertig.«
    Der letzte Satz klang wie »Halt die Klappe«.
    Langsam begann der Alkohol, seine Wirkung zu zeigen. Er war ruhig. Quercher wusste, dass über ihnen Tonnen von Schnee, Geröll und Bäumen lagen. Denk nach, forderte er sich auf. Sein Handy befand sich nass in der Jacke unten am Fluss. Er hob seinen Kopf und schaute im flackernden Licht der Kerze zu der Eisentür, die sowohl Schutz als auch Gefängnis bedeutete. Die Hütte über

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