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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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von den bereits hellgelb verfärbten Blättern der Linde tropfte. »Keine Ahnung«, antwortete er. »Ich glaube, ich habe gar nichts gedacht.«
    »Wie war eigentlich Ihr Verhältnis zu Nikolas Hrubesch?«, fragte Verhoeven. »Vor der Bluttat, meine ich. Waren Sie befreundet?«
    Sven Strohte schüttelte den Kopf. »Wir hatten ein paar Kurse zusammen, nichts weiter.« Er machte eine kurze Pause. »Wie man sich eben so kennt, wenn man jahrelang auf dieselbe Schule geht.«
    Verhoeven schenkte dem Jungen ein süffisantes Lächeln. »Nichtsdestotrotz nennen Sie ihn Nik …«
    Bingo, dachte Winnie Heller. Meine Rede!
    »Beinahe jeder nennt ihn so«, versetzte Sven Strohte, aber er konnte nicht verhindern, dass man ihm den Ärger über seine unbedachte Formulierung ansah.
    »Vielleicht bin ich altmodisch, aber für mich suggeriert eine solche Anrede immer auch eine gewisse Intimität.«
    »Ihre Sache.«
    »Möglich.« Verhoeven wechselte das Standbein und sah sich dann zum wiederholten Mal nach einer Sitzgelegenheit für sich und seine Kollegin um.
    Keine Stühle, keinen Kaffee. Nicht einmal ein Glas Mineralwasser, resümierte Winnie Heller. Sieht fast so aus, als hätte die ach so vornehme Familie Strohte in puncto Manieren gewisse Defizite. Oder aber sie sind entschlossen, uns gar nicht erst in ihr Leben zu lassen, überlegte sie, indem sie wieder den schlaksigen Jungen ansah, der nur ein paar Schritte entfernt auf seinem Klavierhocker kauerte und trotzdem erstaunlich fern wirkte. Ja, dachte Winnie Heller, es ist, als ob dieser Raum durch eine unsichtbare Grenze in zwei Hälften geteilt wäre. Meine Seite, deine Seite. Hüben und drüben.
    Neben ihr zog Verhoeven seinen Kugelschreiber aus der Tasche. »Hatte Hrubesch – oder Nik, wenn Ihnen das lieber ist – eigentlich schon seine Amokkluft an, als er Sie in diesem Putzraum zurückließ?«
    »Er war dunkel gekleidet«, antwortete Sven Strohte nach kurzem Überlegen. »Auf mehr habe ich wirklich nicht geachtet.«
    »Sie haben auf fast gar nichts geachtet, oder?«
    »Stimmt«, versetzte der Junge trotzig.
    »Und warum nicht? Weil Sie so gottverdammt viel Schiss hatten?«
    »Ja, ich hatte Angst«, gab Sven Strohte zurück, und sein Gesicht war vor Wut über Verhoevens Formulierung aschfahl geworden. »Ist das vielleicht ein Verbrechen?«
    Winnie Heller wollte schon einschreiten und die Gesprächsführung an sich reißen, doch ihr Vorgesetzter schien bereits selbst zu spüren, dass er einen Schritt zu weit gegangen war.
    »Was haben Sie gehört, während Sie in diesem Putzraum saßen und auf Hrubeschs Rückkehr warteten?«, fragte er, nun wieder in unverbindlich freundlichem Ton.
    »Jedenfalls habe ich nichts von all dem mitbekommen, was da im Nebengebäude abging«, blaffte der Junge, indem er sich mit beiden Händen durch sein dichtes blondes Haar fuhr, vielleicht, um auf diese Weise die Spannungen abzuschütteln, die noch immer durch den Raum flirrten wie verirrte Insekten. »Sonst wäre ich ja wohl kaum seelenruhig dort sitzen geblieben, oder?«
    Unwillkürlich wartete Winnie Heller darauf, dass ihr Boss eine Bemerkung über die Tür machen würde, die vielleicht verschlossen gewesen war, doch sie wartete umsonst.
    »Kennen Sie die Namen der Todesopfer?«, fragte Verhoeven stattdessen.
    Sven Strohte zuckte die Achseln. »Kaum möglich, die nicht zu kennen, oder?«, entgegnete er lakonisch. »Schließlich stehen sie in allen Zeitungen. Mit Bildern und Namen und allem Drum und Dran.«
    »Finden Sie das gut?«
    »Was?«
    »Dass der Opfer in dieser besonderen Weise gedacht wird.«
    Der Junge stieß ein verächtliches Zischen aus. »Verhökert werden sie.«
    »So sehen Sie das?«
    »Ja«, entgegnete Sven Strohte. »So sehe ich das.«
    »Unter den Todesopfern befinden sich auch drei Schüler aus Ihrer Jahrgangsstufe«, schaltete sich Winnie Heller nun doch in die Befragung ein, nicht zuletzt, um den zunehmend emotional aufgeladenen Schlagabtausch zwischen Ihrem Vorgesetzten und ihrem wichtigsten Zeugen zu unterbrechen. »Hatten Sie zu einem dieser drei näheren Kontakt?«
    Die blaugrauen Augen wandten sich ihr zu. »Nein, eigentlich nicht.«
    Mein Sohn gibt keine Partys, flüsterte eine imaginäre Manuela Strohte. Er ist ein ganz besonderer Junge, wissen Sie? Einer, der nicht dem Zeitgeist entspricht …
    »Und uneigentlich?«, beharrte Winnie Heller.
    Sven Strohte sah nach der weiß lackierten Tür in ihrem Rücken, als überlege er ernsthaft, ob er nicht lieber gehen solle.

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