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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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mich neulich mal mitgenommen hat, in die Hütte von seinem Vater, du weißt schon …«
    »Ja«, entgegnete er, und seine Stimme klang vollkommen wertfrei. Nichtsdestotrotz hatte sie den Eindruck, dass er sich seinen Teil dachte. »Ich weiß.«
    Und wenn schon! Du musst dein Ziel im Auge behalten, das, worauf es dir in Wirklichkeit ankommt! Und überhaupt, was kümmert’s dich, was ein Klavier spielender Sonderling von dir denkt? »Na ja, und es ist nun so, dass ich …« Sie spürte, wie trotz aller Entschlossenheit das alte Schamgefühl wieder über sie hereinbrach. Wie sie rot wurde. Immer wieder rot. »Ich habe dort in der Hütte etwas vergessen, verstehst du, etwas, das ich dringend wiederhaben muss. Aber ich will Lukas’ Eltern nicht damit belästigen, nicht ausgerechnet jetzt, meine ich, wo sie …«
    »Ich verstehe«, sagte er.
    Sie schluckte und nahm all ihren Mut zusammen. »Kannst du mir sagen, wo diese Hütte liegt? Ich meine, ich war natürlich dort, aber ich hab nicht auf den Weg geachtet, jedenfalls nicht so genau.« Ihr Kichern klang wirklich erbärmlich. »Na ja, Frauen und Orientierung …«
    Doch zu ihrer größten Erleichterung stellte Sven Strohte keine Fragen, sondern beschrieb ihr einfach den Weg. Was er sagte, klang, als ob die Hütte ziemlich leicht zu finden sei. Sogar ohne Auto.
    »Der Ersatzschlüssel liegt unter dem Blumentopf mit dem Rosmarin, gleich neben dem Grillplatz«, schloss er. Eine sachliche, fast beiläufige Bemerkung. »Aber das weißt du ja wahrscheinlich.«
    Oh nein, mein Lieber, dachte sie, das wusste ich bislang noch nicht! Aber herzlichen Dank für die Info! Laut sagte sie: »Ja, richtig. Stimmt. Unter dem Topf.« Dann zog sie einen energischen Strich unter die knappen Notizen, die sie sich gemacht hatte, und überlegte, wie sie dieses Gespräch möglichst zügig und unauffällig beenden konnte, bevor Sven Strohte sich einfallen ließ, doch noch irgendwelche blöden Fragen zu stellen.
    »Und wie geht es dir so?« Seine Stimme hüpfte, und Jessica Mahler musste unwillkürlich an seinen Adamsapfel denken, der recht ausgeprägt war und deutlich aus seinem blassen Hals hervorstach. »Das muss ja alles ziemlich … traumatisierend gewesen sein, da oben in 304, oder?«
    Was genau meinst du?, dachte sie bitter. Dass es ziemlich traumatisierend ist, mit anzusehen, wie deiner Lehrerin das Gesicht weggeschossen wird? Oh ja, allerdings! Ihr lag bereits eine zynische Entgegnung auf der Zunge, als ihr einfiel, dass sie diejenige gewesen war, die ihn angerufen hatte. Dass sie nett sein musste. Dankbar, weil er ihr so unkompliziert geholfen hatte. Also sagte sie: »Ja, das war schon ziemlich krass. Aber so richtig checken werde ich das alles wahrscheinlich erst in ein paar Wochen. Oder noch später …«
    Er antwortete nicht, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er nickte. Verständnisvoll, ganz wie es seine Art war. Trotzdem spielte sie mit dem Gedanken, einfach aufzulegen. Schluss zu machen mit diesem Gespräch, das ihr zunehmend unangenehm, um nicht zu sagen: lästig wurde. Andererseits brachte sie es nicht übers Herz, ihn derart vor den Kopf zu stoßen, nachdem sie ihn für ihre Zwecke ausgenutzt und er ihr verraten hatte, was sie wissen wollte. Und im Grunde war er ja auch ein netter Kerl. Ein bisschen seltsam mit seiner Musik und seiner Eigenbrötlerei, okay, das schon, aber wenigstens hatte er sie noch nie dumm angemacht und …
    »Die Polizei war vorhin hier«, sagte er mitten in die Stille, die sich zwischen ihnen breitgemacht hatte.
    »Echt?« Jessica Mahler war ehrlich überrascht. »Bei dir?«
    »Mhm.«
    »Wieso das denn?«
    »Weil ich …« Er zögerte. Aber nur ganz kurz. Dann sagte er: »Ich war in der Nähe, als Nik starb.«
    Sie zog verblüfft die Augenbrauen hoch, während ihr Gedächtnis nach Informationen suchte, die zu diesem merkwürdigen Satz passten, den Sven Strohte in das gähnende Nichts, das sie trennte, geschleudert hatte. Im Fernsehen war die Rede von einem Umkleideraum gewesen, in den sich Nikolas Hrubesch vor den nahenden Polizisten geflüchtet und in dem er sich schließlich, nachdem ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation bewusst geworden war, eine Kugel in den Kopf gejagt hatte. Und die Umkleideräume befanden sich ausnahmslos im Untergeschoss des Neubaus. Aber was in aller Welt sollte Sven dort zu schaffen gehabt haben? Immerhin war Sportunterricht wegen des Umbaus derzeit vom Stundenplan gestrichen. Und warum drückte er sich eigentlich so

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