Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
seltsam aus? Ich war in der Nähe, als Nik starb. Warum sagte er nicht: als Nikolas sich eine Kugel in den Kopf geschossen hat? Und was zum Teufel meinte er mit in der Nähe ? Jessica Mahler schüttelte verwirrt den Kopf. »Du warst da?«
    Doch anstelle einer Antwort drang nichts als tiefes, lähmendes Schweigen aus der Leitung.
    »Sven?«
    Keine Reaktion.
    »Bist du noch dran?«
    Jetzt räusperte er sich. Endlich. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
    Jessica Mahler hätte um ein Haar laut losgelacht. Hielt dieser Trottel sie für irgend so eine bescheuerte Briefkastentante, bei der man sich ausweinen konnte? Ein Geheimnis! Was um Gottes willen sollte das denn heißen? Geheimnisse waren etwas, das man mit neun oder zehn Jahren hatte. Irgendwelche komischen Plätze, an denen man mit einer Freundin ein paar Münzen oder Spielkarten vergrub und sich dabei irgendwas wünschte, das sowieso nicht in Erfüllung ging. Jessica Mahler strich sich entnervt die Haare aus der Stirn, doch nach einem Moment des Nachdenkens stellte sie verwundert fest, dass sie tatsächlich neugierig war auf das, was Sven Strohte zu sagen hatte.
    Ich war in der Nähe, als Nik starb.
    »Klar«, sagte sie. »Was denn für ein Geheimnis?«
    »Ich glaube, Nik ist das gestern nicht allein gewesen …«
    9
    Als Verhoeven die Tür seines Hauses aufschloss, empfing ihn das unverwechselbare Aroma von frisch gebackenem Kuchen. Der Duft erfüllte ihn mit einer Mischung aus Befremden und Erleichterung darüber, dass das Leben, ihr Leben, weiterging. Dass seine Frau für Normalität sorgte. Dass sie ganz offenbar versuchte, ihrer Tochter Halt zu geben und ihr die Verarbeitung dessen, was sie gesehen hatte, zu erleichtern, indem sie ihr ein Stück Gewohnheit schenkte. Trotzdem musste er unwillkürlich auch an die Familien der Opfer denken. An ihre Trauer. An den Schock, den sie erlitten hatten. Und daran, dass sie diese trauernden Menschen belästigen mussten. Zumindest einige von ihnen. Dass es ihre Aufgabe war, im Dreck zu wühlen. Ursachen zu finden. Gründe. Und Verhoeven wusste nur zu gut, dass man auf der Suche nach Gründen unweigerlich auch an Abgründe gelangte.
    Es ist schwer, was über Leute zu sagen, die tot sind, hatte Sven Strohte, der Junge, der so gut Klavier spielte, auf die Frage nach seinen toten Mitschülern geantwortet. Und Winnie Heller hatte gesagt, dass die Opfer solcher Tragödien allzu oft zu Heiligen wurden, an deren Nimbus niemand zu rühren wagte. Verhoeven blieb vor dem Garderobenspiegel stehen und rückte seine Krawatte zurecht. Trotz des kurzen intimen Moments bei Sven Strohte hatte er nach wie vor das Gefühl, dass er nicht so recht schlau wurde aus seiner Kollegin, und er dachte an ein Gespräch, das sie geführt hatten, kurz bevor sie auseinandergegangen waren.
    »Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, den Bericht zu schreiben«, hatte sie gesagt, und er hatte zuerst gar nicht gewusst, wovon sie sprach. »Auerbach«, hatte sie ihm schließlich auf die Sprünge geholfen. »Ich wollte nur sagen, dass ich noch keine Gelegenheit hatte, das Ganze abzutippen. Meine Notizen, meine ich.«
    »Geht mir genauso«, hatte er geantwortet. »Aber machen Sie sich keinen Kopf wegen der Sache. Im Augenblick haben wir wirklich andere Sorgen.«
    »Ich erledige das gleich heute Abend«, hatte sie gesagt.
    Und er hatte entgegnet: »Das müssen Sie nicht. Ich spreche mit Heinz und erkläre ihm unsere Rolle bei dieser ganzen Angelegenheit, falls er nicht ohnehin schon Bescheid weiß.«
    Winnie Heller hatte ihm einen von ihren misstrauischen Seitenblicken zugeworfen, und er hatte gewusst, dass sie ihm nicht über den Weg traute.
    Diese Frau denkt allen Ernstes, dass ich sie reinreiten will, dachte Verhoeven fassungslos. Für was für eine Art Mensch hält sie mich? Was sieht sie, wenn wir einander gegenüberstehen? Er warf seinem Spiegelbild einen abschätzigen Blick zu und dachte daran, dass Grovius immer behauptet hatte, vernünftige zwischenmenschliche Beziehungen gründeten nur zu etwa zehn Prozent auf Sympathie, der Rest sei eine Mischung aus Nachsicht, Aufmerksamkeit und einer Menge harter Arbeit …
    »Hendrik?«
    Verhoeven stutzte und drehte sich dann zu seiner Frau um, die in der Tür zur Küche stand und ihn mit sorgenvoller Miene musterte.
    »Hast du ein bisschen Zeit, oder musst du gleich wieder los?«
    Er schüttelte den Kopf. »Heute nicht mehr. Wir müssen jetzt erst mal ein paar Ergebnisse abwarten, bevor wir weitermachen

Weitere Kostenlose Bücher