Querschläger
herumkommt. Aber mit Sanders Vorgängerin ist sie eben auch schon befreundet gewesen. Und sie war nun mal …«Ihre Augen wanderten einmal mehr hinauf zu dem wuchtigen Kruzifix, das in der Ecke über dem Tisch hing, und in ihrer Stimme lag ein Ausdruck von liebevoller Nachsichtigkeit, als sie weitersprach: »Beate war immer so fasziniert von Menschen, die kreativ arbeiten, wissen Sie? Und mit Luana – das ist die Lehrerin, die Sander während ihres Erziehungsurlaubs vertritt – war sie, wie gesagt, früher auch ständig unterwegs.«
Natürlich, dachte Winnie Heller. Sander Laurin, Nikolas Hrubeschs Kunstlehrer! Sie schielte zu Verhoeven hinüber, der den Namen im Gegensatz zu ihr offenbar noch nicht einordnen konnte, ein Umstand, der sie mit einem gewissen Stolz erfüllte, auch wenn ihr durchaus bewusst war, dass es bei der Flut an Informationen, die seit Dienstag auf sie einstürmten, im Grunde purer Zufall war, was hängen blieb und was nicht. »Herr Laurin ist einer der beiden Kunstlehrer, die am Clemens-Brentano-Gymnasium unterrichten, nicht wahr?«, beeilte sie sich, ihren Trumpf auszuspielen, solange der Ball noch heiß war, und an der Reaktion ihres Vorgesetzten konnte sie ablesen, dass nun auch bei ihm der Groschen fiel.
»Ja, genau«, nickte Nicole Herrgen. »Das heißt, eigentlich ist Sander wohl gar kein Lehrer, jedenfalls kein richtiger.« Sie zuckte beinahe entschuldigend mit den Schultern. »Beate hat mir mal erzählt, dass er von Haus aus Kunsthistoriker ist. Oder Restaurator oder so was in der Richtung. Angeblich hat er an der Düsseldorfer Akademie studiert, was anscheinend unheimlich was wert ist, und er hat – glaube ich – sogar einen Doktortitel.«
Automatisch suchten Winnie Hellers Augen wieder die Bilder, mit denen Beate Soltau ihr Domizil so überreichlich ausgestattet hatte. Diese Frau scheint ja echt einen totalen Spleen gehabt zu haben, was Kunst angeht, dachte sie, und sie fragte sich, wie jemand, der wirklich und wahrhaftig etwas von Gemälden verstand, die grauenerregende Ansammlung von Kitsch und Krempel in Beate Soltaus Wohnung empfunden haben mochte. Laut sagte sie: »Und Sie sind sich absolut sicher, dass die Beziehung zwischen diesem Herrn Laurin und Ihrer Freundin nicht vielleicht doch mehr als eine bloße Freundschaft war?«
Nicole Herrgen wich ihrem Blick aus und starrte stattdessen auf die Tischplatte hinunter. »Ich weiß nicht, ob es Beate recht gewesen wäre, wenn ich Ihnen das erzähle«, murmelte sie leise vor sich hin, »und es scheint mir auch ganz und gar unwichtig zu sein …«
Winnie Heller wusste genau, wann es sich lohnte, Fragen zu stellen, um einem Zeugen auf die Sprünge zu helfen, und wann man besser schwieg. Und das hier war definitiv ein Moment, in dem man seinen Mund zu halten hatte.
Verhoeven schien die Sachlage ähnlich einzuschätzen, und sie verständigten sich mit einer kurzen Geste darauf, zu warten.
Nicole Herrgen bemerkte die erwartungsvolle Stille und hob den Kopf. »Na ja, also, Beate hat mir vor einiger Zeit erzählt, dass sie sich in Sander verliebt hatte«, schickte sie sich schließlich eher widerstrebend als bereitwillig in das Unvermeidliche. »Aber sie war sich nicht sicher, ob das auf Gegenseitigkeit beruhte. Immerhin …« Sie stutzte erneut, bevor sie mit gesenkter Stimme bekannte: »Immerhin war Sander ja auch ein paar Jahre jünger als sie.«
»Was nicht zwangsläufig ein Hinderungsgrund sein müsste«, bemerkte Verhoeven, der zu spüren schien, dass ihre Zeugin nach dieser von ihr selbst offenbar als überaus indiskret empfundenen Offenbarung ein wenig Zuspruch brauchte.
Und Nicole Herrgen fing den Ball, den er ihr zugespielt hatte, dankbar auf. »Wissen Sie, ich hab ja schon länger vermutet, dass die Sache von Beates Seite aus tiefer ging«, sagte sie. »Da … Na ja, da war dieses Leuchten in ihren Augen, jedes Mal, wenn sie über Sander sprach, Sie wissen schon. Und wie sie sich immer darüber aufgeregt hat, dass einer wie er gezwungen ist, pubertierende Teenager zu unterrichten, anstatt mindestens eine Professur zu haben oder ein Museum zu leiten oder irgendwas in dieser Art.« Sie hob die Hände, als wolle sie sich auf diese Weise ein Stück weit von den Gedankengängen ihrer verstorbenen Freundin distanzieren. »Aber bei der Vergabe solcher Posten steckt ja immer auch irgendwelches politisches Kalkül dahinter, meinte Beate, und wenn man da keinen Zugang zu den richtigen Kreisen hat, muss man eben notgedrungen ein
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