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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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musste ihn beruhigen. Ihm etwas erzählen, mit dem er sich zufriedengeben konnte. Sonst hatte sie ihn und diese leidige Sache für den Rest ihrer Tage am Hals. Lübke war wie ein Bluthund, der von einer einmal aufgenommenen Spur erst wieder abließ, wenn er sie bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt hatte. Oder wenn man ihn mit Gewalt von ihr fortzerrte …
    Sie hörte ihn in der Küche rumoren.
    Durch die geöffnete Tür konnte sie seinen Schatten sehen. Ein großer, massiver Schatten, der sie an die Silhouette von Gerd Fröbe erinnerte, wie er als unheimlicher, schwarz gewandeter Kindermörder mit einer Kasperlepuppe durch den Wald tappte.
    »Musst du nachher noch zurück ins Präsidium?«
    Was zur Hölle sollte die Frage? Winnie Heller schluckte. Hatte er denn nicht behauptet, dass er nur zum Duschen nach Hause fuhr?
    »Wieso?«, rief sie zurück, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
    »Ach du Scheiße«, stöhnte er, bevor er abermals in sein heiseres Lachen ausbrach. »So weit habe ich gar nicht gedacht, aber keine Sorge, ich habe durchaus keine unlauteren Pläne mit dir. Zumindest nicht heute Abend«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, und Winnie Heller konnte sich lebhaft vorstellen, wie seine Hans-Albers-Augen vor Vergnügen blitzten.
    Sie biss sich auf die Lippen und hätte sich für die unausgesprochene Unterstellung, die in ihrer Frage gelegen hatte, am liebsten in der Luft zerrissen. Warum hatte sie auf einmal solche Mühe, vernünftig mit Lübke umzugehen? Wo waren die lockeren Sprüche, mit denen sie üblicherweise auf ihn reagierte?
    Während sie wartete, dass er zurückkehrte, sah sie sich nach Fotos um, nach irgendeinem Hinweis auf die Unbekannte, die neulich Nacht bei ihm gewesen war, aber sie konnte nichts entdecken. Keinen Parfumflakon, keinen vergessenen Seidenschal. Nicht einmal eine Herrenunterhose mit Paisley-Muster. Und auch sonst nichts, das auf die temporäre Anwesenheit einer Frau in diesem Haushalt hindeutete. Ob die Unbekannte also am Ende doch eine von den Professionellen gewesen war? Winnie Heller dachte an den seltsamen Aufzug der Fremden und an ihr Haar, das ein bisschen zu blond und ein bisschen zu unordentlich ausgesehen hatte, und sie überlegte, woran sie sich eher gewöhnen könnte. An den Gedanken, dass Lübke eine feste Freundin hatte, oder an die Vorstellung, dass er hin und wieder eine Prostituierte mit in sein komisches, krummes Haus brachte. Eine Hure …
    Als sie seine Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich um.
    Er hatte ein altmodisches Holztablett mit einem geflochtenen Rand auf dem Couchtisch abgeladen. Zwei Becher mit Kaffee. Eine Flasche Whisky. Dazu zwei ziemlich große Gläser.
    Winnie Heller setzte sich in einen der Sessel, damit er ihr nicht zu nahe kommen konnte, und griff, ohne zu fragen, nach dem linken Kaffeebecher, der offenkundig eine ziemlich beträchtliche Menge Milch enthielt. Und Lübke trank seinen Kaffee ja grundsätzlich schwarz. Schwarz mit drei Stückchen Zucker darin, etwas, das sie vermutlich bis ans Ende aller Tage wissen würde. Sie blickte in die hellbraune Flüssigkeit in ihrem Becher hinunter und dachte, dass sie es irgendwie beruhigend fand, dass Lübke bei aller Normalität, die in seinem Haus herrschte, nicht auch noch Milchkännchen und Zuckerdose angeschleppt hatte. So viel unerwartete Bürgerlichkeit hätte sie dann doch – und wahrscheinlich auch endgültig – in die Flucht geschlagen.
    »Was ist?«, fragte sie, als ihr bewusst wurde, dass er sie ansah.
    Er zuckte seine massigen Schultern. »Sag du’s mir.«
    Winnie Heller seufzte und beschloss, das Unvermeidliche nicht länger aufzuschieben. »Da war dieser Kerl, weißt du, neulich Nacht …«
    Lübke sagte nichts. Zu ihrer Erleichterung saß er einfach da und ließ sie reden.
    Und das tat sie. Redete. Stockend zuerst. Unzusammenhängend und wirr. Danach immer klarer, sachlicher. Sie lauschte ihrer eigenen Stimme und wunderte sich, dass sie Worte fand, die zusammenpassten, die wirklich und wahrhaftig einen Sinn ergaben. Worte für das Unerklärliche, das ihr passiert war. Das Unsagbare …
    Er hörte alles an, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Als sie geendet hatte, als ihr nichts mehr einfiel, das es noch zu besprechen gab, goss er ungefähr einen halben Liter Whisky in eines der Gläser und schob es ihr wortlos über den Tisch. Aber sie konnte sehen, dass seine Fingerspitzen zitterten, und verwundert stellte Winnie Heller fest, dass der Grund dafür

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