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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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ganz offenkundig eine elementare Wut war. Lübke war wirklich und wahrhaftig wütend über das, was mit ihr geschehen war!
    Sie fühlte, wie die Erkenntnis sich in ihr festsetzte, wie sie eine Spur hinterließ, von der sie nicht sicher war, ob sie nicht alles noch viel komplizierter machen würde, als es ohnehin schon war.
    Lübke hatte sich unterdessen auch einen Whisky genommen, und sie hatte das dringende Gefühl, dass er seine Emotionen nur mit Mühe im Zaum hielt.
    »Ich habe versagt«, bekannte sie so leise, dass sie sich selbst kaum verstand.
    Er sah sie an. »So siehst du das also …«
    »Wie sollte ich es denn sonst sehen?«, entgegnete sie laut und forsch, weil sie es urplötzlich nicht mehr ertrug, wenn es still war.
    »Objektiv.«
    »Ich bin objektiv.«
    »Bist du nicht.« Lübke schüttelte den Kopf. »Wenn du nämlich objektiv wärst, würdest du nicht so unerbittlich mit dir ins Gericht gehen.«
    »Aber ich bin Polizistin, Herrgott noch mal«, fuhr es aus ihr heraus. »Ich habe gelernt, mich zu verteidigen. Meine Ausbilder sind nicht müde geworden, mir zu erzählen, dass ich immer auf alle Eventualitäten vorbereitet sein muss. Dass mich nichts und niemand überraschen darf. Und ich verbringe jedes Jahr Stunden um Stunden auf diesem bescheuerten Schießplatz und ballere auf diese blöden Scheiben, nur um im Ernstfall …«
    »Neulich Nacht warst du unbewaffnet«, fiel Lübke ihr mit einer für seine Verhältnisse bemerkenswerten Behutsamkeit ins Wort.
    »Unbewaffnet vielleicht«, versetzte sie trotzig. »Aber ich hätte trotzdem nicht so entsetzlich wehrlos sein dürfen. Das macht mich …«
    »Du bist ein Mensch und keine gottverdammte Maschine«, unterbrach er sie erneut. »Und Menschen machen nun einmal Fehler … Auf alle Eventualitäten vorbereitet! Was für ein ausgemachter Blödsinn!« Er stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Glaub mir, Mädchen, kein Mensch ist jemals auf alle Eventualitäten vorbereitet.«
    Sie erwiderte nichts, sondern senkte einfach den Blick.
    »Winnie?«
    »Was denn?«
    »Ich möchte nicht, dass du daran zerbrichst.«
    »Ich werde nicht daran zerbrechen«, versetzte sie hitzig. Und in Gedanken fügte sie hinzu: Immerhin bin ich auch an dem anderen nicht zerbrochen, an dem Unfall meiner Schwester und den sieben Jahren Hölle, die ihm gefolgt sind. Wahrscheinlich kann ich das gar nicht, zerbrechen.
    Sie stellte ihr Whiskyglas zur Seite und verspürte mit einem Mal wieder die alte Angst, zu viel über sich verraten zu haben. Jemandem, den sie kaum kannte, etwas in die Hand gegeben zu haben, das sich gegen sie verwenden ließ. Das sie auslieferte. Winnie Heller fühlte, wie Panik in ihr aufstieg. Der Moment der Schwäche war vorüber. Jetzt griffen die erprobten Abwehrmechanismen, und sie wollte nur noch weg, ihren eigenen Geständnissen entfliehen.
    Sie hob den Kopf. »Lübke?«
    »Was?«
    »Du musst mir versprechen, dass diese Sache unter uns bleibt.« »Herrgott noch mal, Mädchen«, fuhr er auf, »du weißt genau, dass ich …«
    »Versprich es mir einfach, okay?«
    Er sah sie an, und in den vertrauten, immer ein wenig aufgeschwemmten Zügen lag etwas, das sie zutiefst beruhigte.
    »Bitte«, beharrte sie, als er keine Anstalten machte, auf ihre Bedenken einzugehen. »Versprich mir, dass du mit niemandem darüber redest. Nicht einmal, um mich zu beschützen. Oder um mich zu rächen«, fügte sie mit einem prüfenden Blick in seine hansalbersblauen Augen hinzu, in denen noch immer eine unterdrückte Wut glomm. »Das ist etwas, mit dem ich fertig werden muss, irgendwie. Und zwar allein. Okay?«
    Er schien nachzudenken. »Lübke?«
    »Von mir aus«, brummte er mit einem Widerwillen, den Winnie Heller fast körperlich spüren konnte.
    »Von dir aus was?«
    »Hm, ja, ich verspreche es.«
    Sie nickte. »Danke.«
    10
    Nicole Herrgen lehnte sich Halt suchend gegen den Türrahmen, während sie ihre Handtasche nach dem Schlüssel zu Beate Soltaus Wohnung absuchte.
    »Wird das denn heute noch?«, fragte Dieter Herrgen ungeduldig, als über ihren Köpfen die Treppenhausbeleuchtung zum zweiten Mal erlosch.
    »Mach Licht«, bat sie. »Sonst …«
    »Herrgott noch eins«, stöhnte ihr Mann, als sie sich trotz der abermals aufflammenden Flurbeleuchtung schwertat, den Schlüssel ins Schloss zu bugsieren. Aber nach den Erfahrungen von heute früh war sie dennoch heilfroh, dass er sich ohne größere Umstände bereit erklärt hatte, sie zu begleiten. »Wenn du so weitermachst, werden

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