Querschläger
einer Stummfilmdiva aus Ufa-Zeiten zur Ehre gereicht hätte. Zu ihren Federn trug sie ausnahmsweise keine Paisley-Shorts, sondern einen riesigen schwarzen Glattledermantel und darunter ein tomatenrotes Jerseykleid, dessen schmiegsame Dehnbarkeit die mehr als üppigen Rundungen seiner Trägerin in geradezu verschwenderischer Fülle zur Geltung brachte. Die platinblonden Haare waren wie schon neulich Nacht hochgesteckt und wirkten im flimmernden Licht der Neonröhren wie grünstichiges Stroh. Dafür war allerdings die Farbe ihrer Augen ein echter Knaller: veilchenblau wie die von Elizabeth Taylor! Winnie Heller ertappte sich bei einem Anflug von Neid und der Überlegung, ob ihr Gegenüber wohl farbige Kontaktlinsen trug, aber wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht umhin, zuzugeben, dass die Dinger verdammt echt aussahen. Welchem Farbtyp diese Tante wohl angehören mochte? Spätherbst, dachte Winnie Heller boshaft. Ganz eindeutig!
Laut sagte sie: »’tschuldigung, kennen wir uns?«
Doch Frau Flittchen überging ihre Frage mit einem nachsichtigen Lächeln. »Winnie, nicht wahr?«
Na schön, von mir aus … »Und Sie sind …?«
»Marie.«
Winnie Heller nickte und dachte, dass sie eigentlich Gloria heißen müsse. Oder Chantal. Jedenfalls nicht Marie. »Freut mich.«
»Wie geht es Ihnen inzwischen?«
»Phantastisch, danke.« Winnie Heller blickte Richtung Ausgang und überlegte fieberhaft, mit welcher Begründung sie sich am elegantesten verdrücken konnte. Die Keine-Zeit-Nummer erübrigte sich vermutlich schon allein durch die Tatsache, dass sie hier seit geschlagenen fünf Minuten vor dem Regal mit dem Fischfutter stand, und darüber hinaus fiel ihr leider nicht viel Brauchbares ein.
Frau Flittchen musterte sie derweil aus blitzgescheiten veilchenblauen Augen. »Sie sind auch Polizistin, ja?«
Winnie Heller bejahte. »Und Sie? Ich meine …«, stammelte sie, als ihr einfiel, dass die andere möglicherweise einen Beruf hatte, den man nicht so ohne weiteres in die Welt hinausposaunte. »Wo … woher kennen Sie Lübke?«
»Jupp und ich sind alte Freunde«, entgegnete Marie Wer-auch-immer sichtlich amüsiert, und Winnie Heller dachte, dass das alles ein verdammt guter Witz war. Marie und Jupp – fast wie ein kölsches Krippenspiel. Und erst der Ausdruck »alte Freunde«!
»Haben Sie auch Fische?«, fragte sie, weil sich die Frage angesichts des Ambiente irgendwie aufdrängte, auch wenn sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass diese pensionierte Bordsteinschwalbe ein Aquarium in ihrem vermutlich ganz und gar rotplüschigen Boudoir stehen hatte. Nicht einmal ein Goldfischglas und …
»Fische? Oh nein«, lachte ihre Gesprächspartnerin. »Eher das Gegenteil, schätze ich.«
Was zur Hölle war das Gegenteil von Fischen?! Winnie Hellers Augen glitten an dem Mantel ihres Gegenübers abwärts zu einem jener grünen Einkaufskörbe, die am Eingang der Zoohandlung für die Kunden bereitstanden. Im Korb stapelten sich kleine Aluschälchen mit Katzenfutter. Das extrateure, wie Winnie Heller staunend feststellte. Offenbar hatte die Dame in ihrer aktiven Zeit den einen oder anderen Schein beiseitegelegt! Neben dem Luxusfutter lag ein Spielzeug. Irgendwas mit weißem Fell.
»Meine Loulou hat morgen Geburtstag«, erklärte Marie Wer-auch-immer, die Winnie Hellers Blick gefolgt war.
»Aha.« Loulou, alles klar. Vermutlich eine Perserkatzendame. Das passte!
»Sie wird drei.«
»Ach, wirklich?« War das viel? Winnie Heller kniff die Brauen zusammen. Wie alt wurden solche Viecher denn üblicherweise?
»Na, wie auch immer«, sagte Lübkes Freundin und griff nach dem Korb mit ihren Einkäufen, »jedenfalls hat der Jupp mir immer geholfen, ganz egal, in was für Schwierigkeiten ich steckte, und das waren im Laufe meines Lebens eine ganze Reihe, wie Sie sich vielleicht vorstellen können.« Dann wurde ihre Miene urplötzlich todernst. »Glauben Sie mir, Schätzchen, Männer von dieser Sorte findet man nicht wie Sand am Meer. Schon gar nicht solche, die als Dank für ihre Mühen niemals irgendeine Gegenleistung von dir erwarten.«
Während Marie Wer-auch-immer nach dieser tiefschürfenden Eröffnung zunächst einmal in sinnendes Schweigen verfiel, überlegte Winnie Heller, ob sie das mit den Gegenleistungen mit Absicht gesagt hatte. Ob etwas wie eine Botschaft in diesem banalen Satz steckte. Eine Botschaft an sie ganz persönlich.
»So einen wie Lübke finden Sie nur einmal unter Tausenden«, wiederholte
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