Querschläger
Hinweisen darauf, dass der Mann, der sie überfallen hatte, tatsächlich fort war. Dass die Sicherheit, in der sie sich befand, Bestand hatte. Winnie Heller hielt den Atem an. Stille. Herzschlag. Blätterrauschen. Und auf einmal auch wieder Stimmen. Frauenstimmen, dieses Mal.
Mit einiger Mühe zog sie die Beine an und richtete ihren Oberkörper auf. Er hatte ihre Bluse zerrissen, außerdem fehlten drei Knöpfe. Ihr BH war nach oben gerutscht, schien aber intakt zu sein. Heil geblieben. Ganz. Sie nickte. Immerhin. Dafür war ihre linke Schulter frei. Sie spürte den Wind auf der nackten Haut und tastete nach ihrem Nacken, an dem etwas klebte, das sich wie grobe Sandkörner anfühlte. Schotter vermutlich. Winnie Heller blickte sich um, und als das zu keinem Ergebnis führte, fuhr sie mit den Fingern über den Boden neben sich. Dreck. Schotter. Laub. Was auch immer …
Die Frauenstimmen hatten indessen die Richtung gewechselt.
Du musst sie warnen, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Wer weiß, ob er nicht vielleicht doch noch in der Nähe ist.
Der Gedanke machte sie augenblicklich wieder frösteln. Frösteln und ganz und gar stumm. Sie konnte diese Frauen nicht warnen. Sie hätte noch nicht einmal um Hilfe rufen können, wenn er jetzt zurückkam. Ihre Stimme war tot, weg, abgestorben. Genau wie die Empfindungen. Der Schmerz. Selbst die Angst, die sie noch vor wenigen Minuten empfunden hatte, war einem Gefühl stumpfer Taubheit gewichen.
Ächzend hielt Winnie Heller sich mit beiden Händen am Kotflügel des roten Toyota fest, neben dem sie gestürzt war, und kam dann langsam, fast wie in Zeitlupe, auf die Beine. Während sie versuchte, sich ans Stehen zu gewöhnen, das sie in den vergangenen Minuten verlernt zu haben schien, suchte ihr Blick den Reißverschluss ihrer Glitterjeans. Dazu ist er nicht mehr gekommen, meldete ihr Verstand, aber sie traute ihm nicht. Erst als sie sah, dass der Knopf ihrer Hose zwar geöffnet, der Reißverschluss jedoch noch halb geschlossen war, wusste sie, dass die Fremden, denen sie ihr Leben verdankte, rechtzeitig gekommen waren.
Gerade noch rechtzeitig …
Sie blickte sich nach den Frauen um, die sie gehört hatte, aber sie konnte nichts entdecken. Immerhin waren es mindestens zwei gewesen. Freundinnen wahrscheinlich, die geredet und gelacht hatten. Und vermutlich saßen sie längst in ihrem Auto, auf dem Weg nach Hause oder zu Freunden, mit denen sie den Rest der Nacht verbringen wollten.
Winnie Heller fühlte, wie sich ein Gefühl vorsichtiger Beruhigung über ihren Körper breitete. Und seltsamerweise fiel ihr mit einem Mal wieder die Kollegin aus Auerbachs Team ein. Aber die ist viel zu hübsch, höhnte Mettlachs Stimme in ihrem Kopf. Da denkt der Kerl ja an alles Mögliche, nur nicht an einen Deal.
Nicht hässlich genug, dachte Winnie Heller und begann zu lachen. Ein hohles, hysterisches Lachen, das nach und nach in eine Art tonloses Weinen überging und endlich ganz erstarb. Du bist hässlich, aber anscheinend bist du noch nicht hässlich genug. Irgendein Scheißkerl hat dich gesehen und fand dich attraktiv genug, um dich vergewaltigen zu wollen … Oder? Der Gedanke wich einem anderen, noch unangenehmeren. Was war mit diesen Typen aus dem Klub? Konnte einer von denen ihr gefolgt sein? Hatte Auerbachs Informant tatsächlich ein falsches Spiel getrieben und sie, den Lockvogel, ans Messer geliefert?
Unsinn, schalt sie sich, indem sie sich einmal mehr den abfälligen Blick ins Gedächtnis rief, mit dem Kevin Kurányi sie gemustert hatte. Dieser Kerl würde mich noch nicht einmal mit einer Kneifzange anfassen, und seine Kumpels vermutlich auch nicht! Die Absichten des Unbekannten, der sie niedergeschlagen hatte, waren hingegen mehr als eindeutig gewesen. Und das bedeutete, dass das, was ihr soeben geschehen war, auf einem Zufall basierte. Wie so viele Taten dieser Art. Etwas, das man schon auf der Polizeischule lernte.
Winnie Heller schloss die Augen und versuchte, sich an das Gesicht ihres Angreifers zu erinnern, aber die Bilder, die ihr Gedächtnis ihr anbot, waren schemenhaft und verwackelt. Er hatte eine dunkle Mütze getragen. Dazu eine dunkle Jacke. Stoff, nicht Leder. Winnie Heller merkte, wie sie wieder zu lachen begann. Eine wirklich tolle Zeugin war sie! Absolut professionell! Genau der Typ Opfer, über den sich die Kollegen hinter vorgehaltener Hand die Mäuler zerrissen. Da ist diese dämliche Ziege ganze fünf Minuten in der Gewalt dieses Wahnsinnigen, und
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