Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Leute. Sie beide«, Hinnrichs’ Zeigefinger schnellte vor wie der Kopf einer Schlange, »kümmern sich ausschließlich um diesen mutmaßlichen zweiten Schützen. Und das Ganze so inoffiziell wie möglich, verstanden?« Er wartete nicht auf eine Antwort seiner Untergebenen, sondern hatte bereits den Telefonhörer in der Hand. »Die ermittelnden Kollegen werden in dieser Schule aufräumen und Sie mit allen Informationen versorgen, die Sie brauchen, um sich ein Bild von der Tat und ihren Begleitumständen zu machen«, rief er, indem er eine Reihe von Zahlen in den Ziffernblock seines Telefons hämmerte. »Wo immer Sie es für nötig halten, selbst Befragungen durchzuführen, haben Sie hiermit ausdrücklich die Genehmigung dazu.«
    Verhoeven öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Leiter des KK11 brachte ihn mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen. Dann klemmte er sich den Hörer zwischen Kopf und Schulter und nestelte eine neue Zigarette aus der Packung neben dem Telefon, während seine Untergebenen sich eher zögernd als bereitwillig von ihren Stühlen erhoben.
    »Ich werde in der Gerichtsmedizin anrufen«, rief Hinnrichs ihnen hinterher. »So, wie die Sache im Moment aussieht, brauchen wir so schnell wie möglich die Projektile aus den Körpern der Toten, damit wir sie den sichergestellten Waffen zuordnen können. Und Sie fahren als Erstes rüber in die Einsatzzentrale und lassen sich von den Kollegen über den letzten Stand informieren. Noch Fragen?«
    Tausende, dachte Verhoeven, aber er schwieg.
    2
    »Unseren bisherigen Erkenntnissen nach begann Nikolas Hrubesch seinen Amoklauf im Erdgeschoss des Altbaus an der Aarstraße«, erklärte Lars Höppner, ein kantiger Mittfünfziger mit wachen Augen und ausgeprägter Stirnglatze, wenig später bei einer ersten internen Analyse der Bluttat.
    Verhoeven kannte den erfahrenen Kollegen vom Sehen und wusste, dass er allenthalben einen exzellenten Ruf genoss. Er saß gemeinsam mit Winnie Heller und rund fünfundzwanzig anderen Kollegen in einem zur Kommandozentrale umfunktionierten Tagungsraum und blätterte in der hastig zusammengestellten Informationsmappe, die zwei Beamte aus Höppners Team zu Beginn der Besprechung unter den Anwesenden verteilt hatten. Die Mappen enthielten neben den Protokollen der ersten Befragungen auch Fotos der Leichen. Verhoeven schlug die nächste Seite auf und blickte in die geöffneten Augen eines hübschen, dunkelhaarigen Mädchens. Das Gesicht schien vollkommen unverletzt, aber ein Teil ihres Halses fehlte. Rechts des Kehlkopfes, wo normalerweise Sehnen und Adern verliefen, klaffte ein beinahe faustgroßes Loch. Verhoeven blätterte hastig weiter. Vor ihm an der Wand flimmerte derselbe Gebäudeplan, den Hinnrichs ihnen bereits in seinem Büro ausgehändigt hatte.
    »Um genau zu sein, fielen die ersten Schüsse im Lehrerzimmer der Schule, das sich hier im Erdgeschoss des Altbaus befindet, schräg gegenüber vom Haupteingang.« Lars Höppner richtete seinen Laserpointer auf einen von zwei Räumen, die augenscheinlich ein wenig zurückgesetzt lagen. »Dort hat Hrubesch zwei Lehrer erschossen und eine weitere Frau schwer verletzt.«
    Er legte den Laserpointer beiseite und kramte in seinen Aufzeichnungen. Irgendjemand hatte ein Pult besorgt, wie es Redner bei politischen Veranstaltungen benutzen. Es verfügte neben einer beleuchteten Ablagefläche auch über zwei Mikrophone, die jedoch ausgeschaltet waren. Lars Höppner brauchte keine akustische Verstärkung. Zumindest nicht an einem Tag, an dem die Anwesenden wie gelähmt waren von dem Ausmaß der Katastrophe, die sich nicht irgendwo in einer fremden Stadt oder gar jenseits des Atlantiks, sondern vor ihrer aller Haustür ereignet hatte.
    »Heribert Scherer«, las Höppner aus einem improvisierten Dossier ab, das er einem der Aktendeckel auf dem Pult entnommen hatte. »Achtundvierzig Jahre, verheiratet, zwei Töchter. Der Mann unterrichtete Geschichte und Französisch und hielt sich zur Tatzeit im Lehrerzimmer auf, weil er eine Freistunde hatte. Ebenso wie Inge Naumann, das zweite Todesopfer.« Sein Finger fuhr suchend über die Zeilen, während sich die anwesenden Beamten eifrig Notizen machten. Bis auf ein gelegentliches Rascheln von Papier und das Summen der Neonröhren an der Decke war es totenstill im Raum. So still, dass man das Fallen eines Blütenblattes gehört hätte. »Frau Naumann war zweiundfünfzig Jahre alt. Geschieden, keine Kinder.« Höppner hob den Kopf von seiner

Weitere Kostenlose Bücher