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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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einfallen lassen müssen, um die Kleine abzulenken. Immerhin war das Mädchen drauf und dran gewesen, in Panik zu geraten. Karen Ringstorff nickte leise vor sich hin. Und das war ja auch ganz natürlich. Beinahe jeder war in Panik geraten, heute früh.
    Mareike Gruner hatte sich also die Hände vors Gesicht geschlagen und gekreischt, und sie hatte das Mädchen bei den Schultern gepackt und gefragt, wie es heiße. Okay, Mareike, hatte sie gesagt, wir wissen beide nicht, was da draußen los ist. Und deshalb ist es das Sicherste, wenn wir erst mal hierbleiben und uns ruhig verhalten, verstehen Sie ? Die Kleine war unter ihren Augen um mindestens fünf Jahre jünger geworden und hatte dann eifrig und folgsam mit dem Kopf genickt wie ein eingeschüchtertes Kind. Karen Ringstorff hatte die Schülerin angewiesen, sich auf die Liege zu setzen und sich ganz auf ihren Atem zu konzentrieren, und dann war sie erneut zur Tür gegangen. Zu diesem Zeitpunkt war es ruhig gewesen, draußen auf dem Flur. Vollkommen ruhig. Also hatte sie es gewagt, noch einmal um die Ecke zu sehen. Wie zuvor waren ihre Augen an dem leblosen Körper vor dem Lehrerzimmer hängen geblieben. Und dann war irgendwo, weit entfernt, das Inferno von neuem losgebrochen. In ihrem Rücken hatte Mareike Gruner leise zu wimmern begonnen, und Karen Ringstorff hatte entschieden, dass es an der Zeit war, zu handeln.
    Ganz cool.
    Und auch vollkommen rationell, eigenartigerweise.
    Etwas, das sie sich selbst niemals zugetraut hätte.
    Hör zu, Mareike, hatte sie geflüstert, und das Mädchen hatte sich an sie geklammert, als wolle es nie wieder loslassen, du kommst jetzt mit mir, okay! Und wenn wir draußen auf dem Flur sind, möchte ich, dass du dich beeilst und dabei so leise wie möglich bist, kannst du das ? Das Mädchen hatte genickt, wieder genickt, und sie waren Arm in Arm auf den Gang hinausgetreten. Ins Ungewisse. Sieh nicht nach links, hast du mich verstanden? Geh einfach weiter! Gut so! Und jetzt zur Tür, schnell! Befehlston wie beim Militär. Und aus der Ferne die Schüsse. Immer wieder Schüsse. Woher genau, hatte Karen Ringstorff nicht sagen können, aber nach allem, was sie inzwischen wusste, mussten es wohl die Schüsse im dritten Stock gewesen sein. Jene, die Helen Malgorias getötet hatten. Und Erwin Schmidtke. Kollegen, die sie ihr halbes Leben lang gekannt hatte.
    Am Haupteingang hatte sie noch einmal kurz nach der Frau geschielt, die leblos am Boden lag. Karen Ringstorff hatte daran gedacht, stehen zu bleiben. Aber auch daran, dass ihr Handy in der Tasche ihres Blazers steckte und dass der Blazer im Spind hing, dort hinten, im Lehrerzimmer, vor dem eine Frau lag, die tot oder doch zumindest schwer verletzt war. Lauf, hatte sie geschrien und Mareike Gruner vor sich her durch die Eingangstür geschoben. Lauf, so schnell du kannst, verstehst du mich?
    »Fragen Sie das Mädchen, wenn Sie mir nicht glauben«, hatte sie gesagt und den BKA-Beamten mit einer Mischung aus Wut und Trotz angesehen.
    »Sie haben großes Glück gehabt, Frau Ringstorff«, hatte er entgegnet und dann nach kurzem Zögern hinzugefügt: »Er hat nach Ihnen gefragt, dort im Lehrerzimmer.«
    Sie hatte den Mann angestarrt. »Nikolas?«
    Und er hatte genickt. »Hatte der Junge einen besonderen Grund, Sie zu hassen? Hatten Sie vielleicht irgendwelche Schwierigkeiten mit ihm?«
    Sie hatte mit den Schultern gezuckt und gemerkt, wie eine Welle von Wut über ihren zitternden Körper geschwappt war. Schwierigkeiten! Was wollte dieser Kerl von ihr hören? Alle Menschen hatten ständig und immer Schwierigkeiten miteinander. Bloß dass sie einander in der Regel nicht über den Haufen knallten. Sie hatte dem Beamten ein sarkastisches Lächeln geschenkt und dabei gedacht, dass er auch dieses Lächeln wieder falsch verstehen würde. »Nikolas ist mit meiner Benotung seiner Leistungen nicht immer einverstanden gewesen.«
    »Hat er Ihnen das gesagt?«
    »Nein, aber sein Unmut war kaum zu übersehen.«
    »Hat er Sie jemals bedroht?«
    »Nein, nie.«
    »Auch nicht indirekt?«
    »Auch nicht indirekt.«
    »Er ist Ihnen niemals zu nahe getreten?«
    »Wie ich bereits sagte: nein.«
    Der Polizist hatte sich etwas notiert und sie anschließend gehen lassen. Und nun saß sie hier, zu Hause im Wohnzimmer, und starrte die Kante ihres Couchtischs an. Sie haben großes Glück gehabt, hallte die Stimme des BKA-Beamten in ihren Ohren wider. Oh ja, dachte sie, das hatte ich wohl. Ganz im Gegensatz zu anderen.
    Sie

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