Querschläger
widerstand sie nur mit Mühe der Versuchung, sie zu öffnen.
Das Geräusch eines klingelnden Handys ließ sie erschreckt zusammenzucken, und erst mit einiger Verzögerung wurde ihr klar, dass es nicht ihr eigenes Gerät war, das sie hörte. Dass ihr Handy gar nicht klingeln konnte, weil es nach wie vor ausgeschaltet war. Wie lange noch?, dachte sie unbehaglich, während sie aus den Augenwinkeln registrierte, dass Verhoeven in die Tasche seiner Wildlederjacke griff. Wie lange werde ich Lübke noch ausweichen können? Und was genau soll ich sagen, wenn ich ihm begegne, irgendwann in den nächsten Stunden oder Tagen? Wie kann ich ihm klarmachen, dass er mich in Ruhe lassen soll, wenn ich andererseits mitten in der Nacht in geradezu irrwitzigem Aufzug vor seiner Laube erscheine und mit ihm sprechen will? Sie starrte auf eine gesprungene Fliese hinunter und schüttelte unwillig den Kopf. Was zur Hölle war da bloß in sie gefahren, gestern Nacht?
»Höppners Leute haben die Herkunft des Jagdgewehrs klären können«, verkündete Verhoeven, der sein Gespräch in diesem Augenblick beendet hatte. »Und jetzt raten Sie mal, wem das verdammte Ding gehört!«
Winnie Heller, der ganz und gar nicht der Sinn nach Spielchen stand, verzog das Gesicht. »Jemandem aus Hrubeschs Familie?«
Ihr Vorgesetzter verneinte. »Überlegen Sie doch mal«, flüsterte er, weil Welling, der im Gang auf und ab lief und offenbar auf einen Rückruf bezüglich des Werkraums wartete, gerade wieder einmal an ihnen vorbeikam. »Nikolas Hrubesch wollte seine Bluttat überleben. Er wollte dieses Gebäude in der Maske eines Opfers verlassen. Denken Sie ernsthaft, dass er es da riskieren würde, mit einer der Tatwaffen in Verbindung gebracht zu werden?«
»Doch nicht etwa …?«
»Oh doch, allerdings«, nickte Verhoeven. »Das Gewehr, mit dem Hrubesch geschossen hat, gehört Sven Strohtes Onkel.«
»Ach du Scheiße!«, entfuhr es Winnie Heller so laut, dass Welling sich interessiert zu ihnen umdrehte. »Und die Glock?«
»Ist zumindest nicht registriert.«
»Donnerwetter, dann war Hrubesch wirklich gründlich«, bemerkte Winnie Heller mit einer Anerkennung, die ihr selbst unpassend erschien, kaum, dass die Worte heraus waren. »Seine Sündenbock-Strategie wäre aufgegangen, wenn Sven Strohte nicht …«
»Hätte, wäre, könnte«, fiel Verhoeven ihr mit ungewohnter Ruppigkeit ins Wort. »Aber das Leben ist kein Konjunktiv, und Nikolas Hrubesch ist tot.«
Er redet schon genau wie Hinnrichs, dachte Winnie Heller, aber sie bemühte sich, ihn ihre Verärgerung nicht sehen zu lassen. Stattdessen fragte sie so ruhig und sachlich wie möglich: »Und was sagt der Onkel zu dieser ganzen Geschichte?«
»Die Kollegen haben ihn noch nicht auftreiben können«, entgegnete Verhoeven. »Wie es aussieht, ist er mit einem Bekannten irgendwo in der kanadischen Wildnis unterwegs.« Und mit einem spöttischen Lächeln setzte er hinzu: »Zum Jagen.«
»Folglich ist er mit Fug und Recht im Besitz eines Jagdgewehrs?«
Verhoeven nickte. »Alles hieb- und stichfest. Günther Döblinger verfügt nicht nur über einen Jagdschein und eine Waffenbesitzkarte, sondern ist nachweislich schon vor knapp anderthalb Wochen in Vancouver gelandet. Von dort aus wollten er und sein Kumpel angeblich den Alaska Highway rauf, Richtung Yukon. Die Suche ist bereits eingeleitet.«
»Hören Sie«, rief Welling von der Treppe, das Handy noch immer am Ohr. »Der Werkraum ist grundsätzlich abgeschlossen. Weil dort Gasflaschen, Lötkolben und andere gefährliche Dinge untergebracht sind. Brauchen Sie einen Schlüssel?«
Verhoeven schüttelte den Kopf. »Verraten Sie mir nur noch eins: Gibt es in diesem Werkraum irgendeine Art zweiten Ausgang?« Er überlegte einen Augenblick. »Oder vielleicht sogar einen Durchgang zum Nebengebäude?«
Welling gab die Frage an seinen Gesprächspartner weiter. »Nein«, verkündete er dann. »Die Untergeschosse sind nicht miteinander verbunden. Die nächste Durchgangsmöglichkeit von hier aus ist über die Turnhalle, aber die ist …«
»… infolge von Bauarbeiten derzeit gesperrt, ja, ich weiß«, rief Verhoeven entnervt. Dann sah er sich abermals um. »Also ist das hier eine waschechte Sackgasse.«
»Und wer immer Nikolas Hrubesch erschossen hat, muss von der Treppe gekommen sein«, ergänzte Winnie Heller.
»Vorausgesetzt, dass dieser Jemand nicht bereits hier unten war«, entgegnete ihr Vorgesetzter mit einem undefinierbaren Ausdruck in den
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