Quicksilver
einen Pub oder ein Wirtshaus handelte, wo Isaac seinen vornehmen Freund erwarten würde. Aber er irrte sich gründlich. Zunächst einmal handelte es sich offenbar um nichts weiter als ein Stadthaus. Und ab und zu betraten und verließen es gut gekleidete Männer, und wenn sie herauskamen, hatten sie (oder ihre Diener) kleine Päckchen in der Hand. Es musste sich, vermutete Daniel, um so etwas wie einen Laden handeln, zu diskret, um sich als solcher zu erkennen zu geben – in diesem Teil von London nicht ungewöhnlich, aber kein Ort, wie ihn Isaac normalerweise aufsuchte.
Der Reiter ging nicht hinein. Er ritt ein-, zwei-, dreimal an dem Laden vorbei und betrachtete ihn von der Seite – ebenso verblüfft, wie Daniel es war. Dann schien er mit einem Fußgänger zu sprechen. Daniel entsann sich jetzt, dass dem Berittenen zwei Diener zu Fuß gefolgt waren. Einer dieser Pagen, oder was auch immer sie waren, entfernte sich nun im Laufschritt, schlängelte sich zwischen Straßenhändlern und Heuwagen hindurch über ganz Charing Cross und verschwand schließlich in der Strand.
Der Reiter saß ab, übergab einem anderen Pagen die Zügel und knöpfte sich mit großem Zeremoniell die Ärmel auf, sodass sich die Soutane in einen Umhang verwandelte. Er streifte sich Schmutzfänger ab, unter denen Hosen und Strümpfe zum Vorschein kamen, die nur sechs Monate bis ein Jahr aus der Mode waren, und suchte sich dann seinerseits ein Kaffeehaus auf der anderen Seite der Pall Mall, genau gegenüber dem geheimnisvollen Laden und somit am Südrand von St. James’s Fields – einem jener Felder, in deren Mitte die Kirche St. Martin einst gelegen hatte. Mittlerweile aber wurden ringsumher Häuser gebaut, die ein kleines Rechteck von Ackerland einschlossen, das sich rasch in einen Park verwandelte.
Daniel konnte nichts anderes tun als warten. Um für seinen Platz zu bezahlen, ließ er sich immer wieder Kaffee bringen. Der erste Schluck war so widerlich gewesen, dass ihm, wie bei einem jener exotischen Tränke, die bestimmte Mitglieder der Royal Society gerne brauten, beinahe die Zähne herausfielen. Aber nach einer Weile stellte er zu seiner Verblüffung fest, dass die Tasse leer war.
Die ganze Übung hatte ziemlich früh am Tage begonnen, als noch niemand von Stand auf den Beinen und es ohnehin noch zu kalt und feucht war, um draußen zu sitzen. Doch während Daniel da saß und seine Zeitung zu lesen vorgab, hob sich die Sonne über York House und dann Scotland Yard, es wurde gemütlich, und die Plätze um ihn herum begannen sich mit Persönlichkeiten zu füllen, die ihrerseits Zeitung zu lesen vorgaben. Er spürte sogar, dass sich in ebendiesem Kaffeehaus einige der Akteure aufhielten, von denen er seine Geschwister bei Tisch hatte reden hören. Indem er hier saß und sich unter sie mischte, kam er sich geradezu wie ein Theaterbesucher vor, der sich nach einer Vorstellung mit den Schauspielern – und in diesen rasanten Zeiten auch Schauspielerinnen – entspannt.
Daniel versuchte eine Zeit lang, mit seinem Fernrohr in die oberen Fenster des geheimnisvollen Ladens hineinzuspähen, weil er meinte, in einem davon flüchtig silbernes Haar erblickt zu haben, und so nahm er das Kommen und Gehen anderer Gäste nur anhand ihrer Parfümwolken wahr, des Raschelns von Krinolinen, des ominösen Knirschens von Korsettstangen aus Fischbein, des Schepperns von Degen an Tischbeinen, wenn ihre Träger sich mit den Entfernungen zwischen Möbelstücken verschätzten, des Klackens ihrer glattsohligen Stiefel.
Die Parfüms rochen vertraut, und er kannte von den Mahlzeiten in Raleighs Haus schon alle einschlägigen Witze. Raleigh, der damals zweiundfünfzig Jahre alt war, kannte eine verblüffende Anzahl langweiliger Menschen, die offensichtlich nichts anderes zu tun hatten, als sich – wie Landstreicherbanden, die auf Landgütern einfallen – gegenseitig in Scharen mit Hausbesuchen zu beglücken und ihre Langweiligkeit miteinander zu teilen. Daniel war jedes Mal höchst verwundert, wenn er erfuhr, dass diese Leute Knights, Barone oder Handelsfürsten waren.
»Na, wenn das nicht Daniel Waterhouse ist! Gott erhalte den König!«
»Gott erhalte den König!«, murmelte Daniel reflexartig und sah im Aufblicken einen gewaltigen, überbordenden Wust aus Kleidung und gekauftem Haar, in dem er nach kurzer Suche das Gesicht von Sir Winston Churchill ausmachen konnte – Fellow der Royal Society und Vater jenes John Churchill, der sich im Augenblick bei den
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