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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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und wann er verstaut wurde. Darunter, in einem gesonderten Abschnitt mit der Überschrift BILGE, hat van Hoek persönlich hingekritzelt: »Altmodisches Porzellan – griffbereit aufbewahren.«
    Dappa hat zwei Seeleute aus der Beschäftigung gerissen, der sie sich die letzte halbe Stunde gewidmet haben: an einer Stückpforte zu stehen und ein gelehrtes Gespräch über eine sich nähernde PiratenSloop zu führen. Die Seeleute hielten dies für gut genutzte Zeit, doch Dappa war anderer Meinung. Die beiden ziehen eine Minute lang das Diagramm zu Rate, und Daniel stellt mit gelindem Erstaunen fest, dass sie beide lesen und Zahlen interpretieren können. Sie stimmen darin überein, dass das altmodische Porzellan im Vorderschiff zu finden sei, und begeben sich deshalb dorthin – in den schönsten Teil des Schiffes, wo zahlreiche Spanten von dem nach oben geschwungenen Kiel ausgehen und ein auf dem Kopf stehendes Gewölbe bilden, sodass man sich vorkommt wie eine Fliege, welche die Decke einer Kathedrale erforscht. Die Seeleute wuchten ein paar Kisten aus dem Weg – sie hören dabei keinen Moment zu reden auf, und jeder versucht den anderen mit Grauen erregenden Geschichten von der Grausamkeit bestimmter infamer Piraten zu übertreffen. Sie klappen eine Luke auf, die Zugang zur Bilge gewährt, und im Handumdrehen sind zwei Kisten mit entschieden hässlichem Porzellan heraufgeholt. Die Kisten selbst sind ansehnliche Erzeugnisse aus schön gemasertem Holz der Roten Zeder, für das man sich entschieden hat, weil es in der feuchten Bilge nicht fault. Das Porzellan hat man ohne Verpackungsmaterial zwischen den einzelnen Stücken hineingeworfen, sodass Daniels Arbeit teilweise schon getan ist. Er bedankt sich bei den beiden Seeleuten, die ihn sonderbar ansehen und dann auf Deck zurückkehren. Daniel breitet eine alte Hängematte – zwei Ellen Segeltuch – über die Planken, kippt eine Kiste darauf aus und macht sich mit einem Holzhammer über ihren ausgeleerten Inhalt her.
    Welche optimale Größe (fragt er sich) hat eine Porzellanscherbe, die aus einer Donnerbüchse abgefeuert werden soll? Als die Wachen des Königs ihn während der Feuersbrunst vor dem Haus seines Vaters anschossen, riss es ihn um, und er zog sich Prellungen und Schrammen zu, wurde aber nicht eigentlich durchbohrt. Wahrscheinlich je größer desto besser, was seine Arbeit vereinfacht – man sähe gern große, scharfe Dreiecke aus bunt bemaltem Porzellan durch die Luft sausen, in Piratenfleisch einschlagen und wichtige Gefäße durchtrennen. Aber wenn es zu groß ist, passt es nicht in die Läufe. Er beschließt, auf einen mittleren Durchmesser von einem halben Zoll abzuzielen und bearbeitet das Geschirr dementsprechend, wobei er Stücke von der richtigen Größe in kleine Leinentaschen scharrt und größere zwecks weiterer Zerkleinerung zu sich heranzieht. Die Arbeit tut ihm gut, und nach einer Weile ertappt er sich dabei, dass er ein altes Lied singt: dasselbe, das er mit Oldenburg im Broad Arrow Tower gesungen hat. Mit seinem Hammer schlägt er den Takt, und er dehnt die Noten, die im Laderaum besonders laut hallen. Überall um ihn herum sickert Wasser durch die Ritzen zwischen den Rumpfplanken der Minerva (denn er befindet sich ein ganzes Stück unterhalb der Wasserlinie) und tröpfelt munter in die Bilge hinab, und die Viermannpumpen entfernen es mit einem stetigen Saugen und Zischen, das der Systole und Diastole eines schlagenden Herzens gleicht.

Gresham’s College, Bishopsgate, London
    1672
Der inquisitorische Jesuit RICCIOLI hat sich große Mühe gegeben, die kopernikanische Hypothese mithilfe von 77 Argumenten zu Fall zu bringen... Ich glaube, dass diese eine Entdeckung sie und noch 77 weitere widerlegen wird, wenn so viele sich überhaupt erdenken und gegen sie vorbringen lassen.
Robert Hooke
    Daniel brachte einen Großteil von zwei Monaten auf dem Dach des Gresham’s College zu und arbeitete an einem Loch – einem, das er machte, nicht einem, das er flickte. Hooke konnte das nicht, weil ihm in letzter Zeit wieder Schwindelgefühle zu schaffen machten, und wenn sie ihn oben auf dem Dach überkämen, würde er herunterfallen wie ein wurmstichiger Apfel vom Baum, und sein letztes Experiment wäre eine Untersuchung der geheimnisvollen Macht der Schwerkraft.
    Für jemanden, der nach eigenem Eingeständnis den Anblick scharfer Gegenstände unter einem Mikroskop hasste, verbrachte Hooke sehr viel Zeit damit, seinen Schnabel an inquisitorischen

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