Quicksilver
schienen: denn Bedlam war im Vorgriff auf den Neuaufbau geräumt und abgerissen worden und war nun ein beschaulicher Steingarten, wohingegen ganz London (mit Ausnahme einiger besonderer Stellen wie der Standort des Denkmals und der St. Paul’s Cathedral) eine einzige Baustelle war – Steine, Ziegel und Balken durchzogen die Stadt auf Straßen, die so verstopft waren, dass man sich, wenn man zusah, wie sie sich morgens füllten, unwillkürlich an das Ausgestopftwerden von Wurstdärmen mit Brät erinnert fühlte. Zerstörte Gebäude wurden abgerissen, Keller ausgehoben, Mörtel gerührt, Pflastersteine von Karren geworfen, Ziegel und Steine zurechtgehauen, und eiserne Radreifen knirschten über Pflaster – das alles machte Geräusche, die zu einem wahnsinnigen Mahlen verschmolzen, als zerkaut ein Titan einen Felsenkegel.
Dies also war schon seltsam genug. Doch hinter Bedlam, nach Norden und Nordosten zu, sowie den Raum hinter dem Tower, entlang den östlichen Ausläufern der Stadt umgreifend, befanden sich mehrere Artilleriestellungen und Heerlager. Dort herrschte in letzter Zeit wegen des englisch-holländischen Krieges Hochbetrieb. Nicht des englisch-holländischen Krieges, den sich Isaac vor sechs Jahren von seinem Obstgarten in Woolsthorpe aus angehört hatte, denn der war 1667 zu Ende gegangen. Vielmehr handelte es sich um einen völlig neuen und ganz anderen englisch-holländischen Krieg, den dritten in ebenso vielen Jahrzehnten. Diesmal allerdings hatten die Engländer es endlich richtig gemacht: Sie hatten sich mit den Franzosen verbündet. Ungeachtet aller Überlegungen, was wirklich im Interesse Englands lag, und unter Ausklammerung aller Fragen moralischer Richtigkeit (und das eine wie das andere beunruhigte den derzeitigen König selten und behinderte ihn kaum), schien dies eine sehr viel bessere Vorgehensweise zu sein, als gegen Frankreich zu kämpfen. Massenhaft französisches Gold war ins Land gelangt, um das Parlament auf die Seite von Ludwig XIV. zu ziehen und um den Bau zahlreicher Schiffe zu finanzieren. Frankreich verfügte über ein riesiges Heer und brauchte zu Lande kaum Hilfe von England; was Ludwig gekauft und mehrfach bezahlt hatte, war die Royal Navy, ihre Geschütze und ihr Pulver.
Deshalb fiel es Daniel schwer, aus dem Projekt, das nordöstlich von London im Gange war, schlau zu werden. Über mehrere Wochen hinweg sah er zu, wie ein ebener Paradeplatz Löcher und Furchen bekam, die sich langsam zu Gräben und Hügeln entwickelten, um sich dann (als stellte er ein Guckglas scharf) in klar umrissene, saubere Erdwälle zu verwandeln und aufzulösen. Daniel hatte solche Bauten noch nie gesehen, weil es sie in England bis jetzt nie gegeben hatte, doch er wusste anhand von Büchern und Gemälden von Belagerungen, dass es sich um Festungswälle, eine Bastion, Vorschanzen und eine Lünette handelte. Wenn dies allerdings der Vorbereitung auf eine holländische Invasion dienen sollte, dann war es schlecht ausgedacht, denn die Befestigungen standen vollkommen isoliert und schützten nichts als eine Weide mit ein paar verwirrten, aber extrem gut verteidigten Kühen. Dessen ungeachtet wurden aus Magazinen im Tower Kanonen herbeigeschafft und von schwer sich ins Zeug legenden Ochsengespannen (Leistenbrüchen mit Beinen) auf die Festungswälle gezogen. Das Knallen der Fuhrmannspeitschen und das Schnauben und Brüllen der Tiere wurde von einer Meeresbrise meilenweit über Houndsditch und die London Wall hinweg auf das Giebeldach des Gresham’s College und in Daniels Ohren getragen. Daniel seinerseits glotzte nur erstaunt.
Näher am Fluss, in dem flachen Gelände jenseits des Towers, lösten Marineanlagen die des Heeres ab: Werften, übersät mit hellem Holz aus Schottland oder Massachusetts, dick gestrichene Planken, die sich zu geschwungenen Schiffsrümpfen zusammenfügten, tote Tannen, die als Masten wiederauferstanden. In Windrichtung breiteten sich gewaltige Rauchfahnen, die auf Comstock-Schmieden deuteten, wo tonnenweise Eisen geschmolzen und in unterirdische Kanonenformen gegossen wurde, und am Horizont drehten sich Windmühlenflügel, welche die Getriebe mächtiger Comstock-Maschinen bewegten, mit denen längs der Mitte Löcher in diese Kanonen gebohrt wurden.
Womit Daniels Blick wieder zum Tower, dem eigentlichen Geheimnis, zurückkehrte, von dem er ausgegangen war: wo Schatzschiffe aus Frankreich (wie mittlerweile jedermann in London wusste) das Gold herbeischafften, damit es zu Guineen
Weitere Kostenlose Bücher