Quicksilver
Die Ritzen zwischen den Bohlen über ihm waren strahlende, lachsfarbene Linien, straff und parallel wie Cembalosaiten. Er scheuchte ein paar Schwalben auf, als er sich durch eine Luke in die Kuppel des Turms hinaufhievte, einen halbkugelförmigen Raum, in dem er auf Robert Hooke traf. Staub ließ die Luft leicht schimmern. Hooke hatte große Zeichnungen von Flügeln und Luftschrauben ausgebreitet. Vor den Fenstern hatte er Glasscheiben mit schwarzen, sauber darin eingeritzten kartesischen Gittern aufgehängt, in die verkürzte Parabeln eingezeichnet waren – die Flugbahnen wirklicher Kanonenkugeln. Hooke beobachtete gern von einem Standpunkt neben der Kanone aus den Flug von Kanonenkugeln, wobei er in einer selbst gebauten Vorrichtung stand, durch diese Glasscheiben spähte und mit einem Fettstift die Flugbahnen darauf nachzeichnete.
»Wiegt mir fünf Gran Pulver ab«, sagte Hooke. Sein Augenmerk galt einem Teil einer Verdünnungsmaschine: einem von vielen solcher mit Kolben und Zylindern arbeitender Geräte, mit deren Hilfe er und Boyle die Ausdehnung von Gasen studierten.
Daniel ging zu einer kleinen Waage hinüber, die auf einer auf zwei Sägeböcken ruhenden Bohle aufgebaut war. Auf dem Boden daneben stand ein Fass mit dem eingebrannten Wappen der silbernen Comstocks. Der Spund war gelockert und mit Körnchen eines groben Pulvers bestäubt. Daneben stand ein kleiner zylindrischer Leinenbeutel von etwa faustgroßem Durchmesser, prall und rund wie ein voller Sack Mehl. Er war zugenäht gewesen, doch Hooke hatte die ungleichmäßigen Stiche aufgetrennt und auseinander gezupft. Ein Blick zwischen den ausgefransten Rändern hindurch ins Innere zeigte Daniel, dass er ebenfalls mit schwarzem Pulver gefüllt war.
»Soll ich es aus dem Fass oder aus dem kleinen Beutel nehmen?«, fragte Daniel.
»Da mir meine Augen und meine Verdünnungsmaschine lieb sind, nehmt es aus dem Fass.«
»Warum sagt Ihr das?« Daniel zog den lockeren Spund heraus und stellte fest, dass das Fass nahezu voll war. Mit einem Kupferlöffel, den Hooke neben der Waage hatte liegen lassen (Kupfer schlug keine Funken), schöpfte er eine kleine Menge Pulver aus dem Spundloch und begann es auf eine der zierlichen goldenen Schalen der Waage rieseln zu lassen. Aber sein Blick schweifte immer wieder zu dem Leinenbeutel. Teils lag das daran, dass Hooke, der so wenig fürchtete, offenbar eine Gefahr darin sah. Außerdem hatte dieser Beutel etwas an sich, das ihm vertraut war, obwohl er es nicht einzuordnen wusste.
»Reibt eine Prise zwischen den Fingern«, schlug Hooke vor. »Nur zu, es ist ungefährlich.«
Daniel fuhr mit der Hand in den Leinenbeutel, sodass etwas von dem Pulver an seinen Fingerspitzen kleben blieb. Die Antwort war offensichtlich. »Das hier ist viel feiner als das im Fass.« Und dieser Umstand brachte ihn darauf, wo er so einen Beutel schon einmal gesehen hatte. In der Nacht, in der Roger Comstock sich im Laboratorium beinahe selbst in die Luft gesprengt hatte, war er damit beschäftigt gewesen, Schießpulver ganz fein zu mahlen und in einen Beutel genau wie diesen abzufüllen. »Wo kommt das her? Aus einem Theater?«
Hooke war ausnahmsweise einmal verblüfft. »Was für eine seltsame Frage.Warum glaubt Ihr, so etwas käme ausgerechnet aus einem Theater?«
»Wegen der Beschaffenheit des Pulvers«, sagte Daniel. »Weil es so außerordentlich fein gemahlen ist.« Er machte eine Kopfbwegung zu dem Beutel hin, denn seine Hände waren beschäftigt. Nachdem er fünf Gran Pulver aus dem Fass abgewogen hatte, schüttete er es von der Waagschale in eine aus einem Stück Papier gedrehte Tüte und brachte es Hooke. »Solches Pulver verbrennt viel schneller als dieses grobe Zeug.« Um seine Worte zu unterstreichen, schüttelte er das Tütchen, in dem es sandig raschelte. Er reichte es Hooke, der das Pulver in den Zylinder der Verdünnungsmaschine schüttete. Einige dieser Maschinen waren aus Glas gefertigt, diese jedoch bestand aus einer schweren Messingröhre, ungefähr so groß wie eine Tabakdose: seiner Wirkungsweise nach ein sehr kleiner Belagerungsmörser. Der Kolben passte wie eine Kanonenkugel hinein.
»Das weiß ich wohl«, sagte Hooke. »Deshalb möchte ich auch keine fünf Gran davon in die Verdünnungsmaschine geben. Fünf Gran von Comstocks Pulver verbrennen langsam und gleichmäßig und treiben den Kolben auf eine Weise nach oben, die mir nützlich ist. Die gleiche Menge von dem feinen Zeug aus dem Beutel dort würde im Nu
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