Quicksilver
gleichzeitig herunter, als wäre das ein eingeübter militärischer Drill. In einigen Perücken klebten allerdings Klümpchen von Gehirnmasse, die als perlmuttartige Schlieren an Daniels Schuhen haften blieben.
Sie schoben sich die Broad Street hinauf, weg von der Börse, die das Zentrum der ganzen Unruhen zu sein schien. Die pseudopolnischen Grenadiere hatten vor dem Gebäude Aufstellung genommen, das einst die Guinea-Kompanie beherbergt hatte und bald die Königlich Afrikanische Kompanie beherbergen würde. Und so drückten sich die Waterhouses auf der gegenüberliegenden Straßenseite daran vorbei und blickten immer wieder zurück, um festzustellen, ob eine jener fatalen Kugeln hinter ihnen her geflogen kam. Sie versuchten, ins Gresham’s College hineinzukommen. Aber dort waren nach dem großen Brand zahlreiche Ämter der City of London eingezogen, deshalb war es verschlossen und beinahe so gut bewacht wie die Königlich Afrikanische Kompanie.
Sie hatten sich weiter Richtung Norden bewegt, irgendwann Bedlam erreicht und dort zwischen Mörtelspritzern und Stapeln behauener Steine Zuflucht gefunden. Sterling und Raleigh waren am nächsten Morgen gegangen, doch Daniel war geblieben: biwakierend, antriebslos, ausgelaugt, ohne den Wunsch zu verspüren, in die City zurückzukehren. Ab und zu hörte er eine nahe gelegene Kirchenglocke die Lebensjahre eines Menschen schlagen, der bei den Unruhen umgekommen war.
Daniels Aufenthaltsort wurde bekannt, und es begannen mehrmals am Tag Boten zu kommen, die Einladungen zu weiteren Beerdigungen brachten. Er nahm verschiedentlich daran teil und wurde häufig gebeten, aufzustehen und ein paar Worte zu sagen – nicht über den Verstorbenen (die meisten davon kannte er kaum), sondern über allgemeinere Fragen religiöser Toleranz. Mit anderen Worten, er wurde gebeten, nachzuplappern, was Wilkins gesagt hätte, und das fiel Daniel leicht – viel leichter, als selbst Worte zu finden. Aus wohlerwogenem Respekt für seinen Vater erwähnte er auch Drake. Das mutete wie eine langsame, indirekte Form von Selbstmord an, aber nach seinem Gespräch mit John Comstock hatte er nicht das Gefühl, groß ein Leben zum Wegwerfen zu besitzen. Seltsamerweise schöpfte er Trost aus dem Anblick all jener Kirchenbänke, die mit Männern in Weiß und Schwarz gefüllt waren (obwohl, als Farbtupfer, zuweilen auch Roger Comstock auftauchte, begleitet von ein, zwei mitfühlenden oder zumindest neugierigen Höflingen). Durch offene Türen und Fenster sah man weitere Trauernde, die Kirchhof und Straße füllten.
Es erinnerte ihn an damals in seiner Studentenzeit, als Upnor den Puritaner ermordet hatte und er zu der fünf Meilen außerhalb von Cambridge stattfindenden Beerdigung gegangen war, wo er wundersamerweise seinen Vater und seine Brüder angetroffen hatte. Vom Verstand her zum Verzweifeln, für seine Seele jedoch tröstlich. Seine Worte beeinflussten die Gefühle seiner Zuhörerschaft sehr viel stärker, als ihm lieb war und als er erwartete – wie zwei träge Substanzen, im Mörser eines Alchimisten vermengt, ein explosives Gemisch ergeben können, so verhielt es sich auch mit dem gleichzeitigen Heraufbeschwören der Erinnerung an Drake und an Wilkins.
Aber das wollte er nicht, und so begann er die Beerdigungen künftig zu meiden und blieb im stillen Steingarten von Bedlam.
Hooke war ebenfalls dort, denn im Gresham’s College drängten sich mittlerweile zu viele intrigante Stutzer. Bedlam war noch Jahre von der Fertigstellung entfernt. Die Maurer hatten noch nicht einmal mit den Seitenflügeln begonnen. Aber der Mittelteil war fertig, und auf ihm saß ein kleiner, runder Turm mit Fenstern auf allen Seiten, in den Hooke sich gern zum Arbeiten zurückzog, weil man dort seine Ruhe hatte und das Licht ausgezeichnet war. Daniel seinerseits hielt sich unten auf und ging nur in die Stadt, um sich mit Leibniz zu treffen.
Doktor Gottfried Wilhelm Leibniz griff nach der Kaffeekanne und neigte sie zum dritten Mal über seiner Tasse, und zum dritten Mal kam nichts heraus. Sie war schon seit einer halben Stunde leer. Er stieß einen leisen Seufzer des Bedauerns aus und stand dann widerstrebend auf. »Ich bitte um Verzeihung, aber ich trete morgen eine lange Reise an. Zuerst die Kanalüberquerung – und dann, zwischen Calais und Paris, werden wir französischen Regimentern ausweichen müssen, die sich nach Hause durchschlagen, verwahrlost, hungernd und verzweifelt.«
Daniel bestand darauf, die
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