Quicksilver
eifrigen Kanonier aber, und alle seine Kameraden, zerreißt es in Stücke. Bedenkt das, Daniel. Und zeigt ausnahmsweise einmal eine Spur von Besonnenheit. Im Grunde genommen spielt es keine Rolle, wie der Gentleman heißt, der dafür verantwortlich ist, dass diese Kanonen explodiert sind. Worauf es ankommt, ist, dass ich keine Ahnung hatte, was ich da tat. Was verstehe denn ausgerechnet ich von Schiffsartillerie? Ich wusste nur Folgendes: In der Royal Society lernte ich gewisse Herren kennen. Sie wurden wenig später darauf aufmerksam, dass ich als Gehilfe in Newtons Laboratorium arbeitete. Einer von ihnen sprach mich an und fragte mich, ob ich ihm einen Gefallen tun könnte. Nichts Schwieriges. Er bat mich, Schießpulver sehr fein zu mahlen und es ihm in kleinen Beuteln zu übergeben. Das tat ich, wie Ihr wisst. Ich habe im Laufe eines Jahres ein halbes Dutzend dieser Beutel hergestellt. Einer davon ist dank Euch an Ort und Stelle explodiert. Von den anderen fünf weiß ich mittlerweile, dass einer in die ›Belagerung von Maastricht‹ eingeschmuggelt wurde, wo er vor den Augen von halb London eine Kanone explodieren ließ. Die anderen vier gingen an die Royal Navy. Einer wurde von Richard Comstock entdeckt, der ihn seinem Vater schickte. Einer ließ während eines Seegefechts mit den Holländern eine Kanone explodieren. Die anderen beiden liegen mittlerweile auf dem Meeresgrund. Und was meine Schuld angeht: Ich habe erst vor kurzem begriffen, warum der fragliche Herr mit einer so merkwürdigen Bitte an mich herangetreten ist. Als ich diese Beutel abfüllte, habe ich nicht gewusst, dass damit gemordet werden würde.«
Daniel, der seine Gliedmaßen in neue Kleider einfädelte, glaubte dem anderen jedes Wort. Er hatte schon lange den Überblick über Rogers moralische Verfehlungen verloren. Roger hatte vermutlich so viele von den zehn Geboten gebrochen und so viele von den sieben Todsünden begangen, wie es nur in seiner Macht stand, und suchte eifrig nach Möglichkeiten, diejenigen zu brechen bzw. zu begehen, die er noch nicht abgehakt hatte. Mit Rogers Charakter hatte die Sache nichts zu tun. Irgendwer war für den Tod dieser armen Kanoniere verantwortlich, und das Ganze war ein Komplott, um den Earl von Epsom zu diskreditieren: eine Tat, wie sie sich Daniel übler nicht vorstellen konnte. Thomas More Anglesey, Herzog von Gunfleet, oder einer seiner Söhne musste an der Spitze der Verschwörung gestanden haben, denn Roger hätte, wie er zu Recht betont hatte, das alles niemals allein fertig gebracht. Blieb nur die Frage, ob Roger begriffen hatte, wozu die Pulverbeutel dienen sollten. Die Angleseys hatten es ihm bestimmt nicht gesagt, deshalb hätte er es sich selbst zusammenreimen müssen. Und Rogers Laufbahn am Trinity lieferte keinerlei Gründe zu der Annahme, dass von seiner Seite mit blendenden Geistesblitzen zu rechnen war.
Der Glaube an Rogers Unschuld nahm Daniel eine ungeheure Last von den Schultern, deren er sich erst bewusst wurde, als sie verschwunden war. Das war so beglückend, dass es einige Momente puritanischer Selbstprüfung auslöste. Alles, was derart beglückend war, könnte des Teufels sein. Heuchelte er nur Vertrauen zu Roger, weil es so beglückend war?
»Wie könnt Ihr weiter mit diesen Leuten verkehren, wo Ihr wisst, welch entsetzliche Tat sie begangen haben?«
»Das wollte ich Euch auch schon fragen.«
»Wie bitte?«
»Ihr verkehrt seit dem Pestjahr mit ihnen, Daniel, bei jeder Zusammenkunft der Royal Society.«
»Aber ich habe nicht gewusst, dass sie morden!«
»O doch, Daniel, das wisst Ihr seit jener Nacht vor zwölf Jahren am Trinity, als Ihr zugesehen habt, wie Louis Anglesey einen Eurer Glaubensbrüder umbrachte.« Wäre Roger ein anderer Mensch gewesen, hätte er das in grausam triumphierendem Ton gesagt. Wäre er Drake gewesen, hätte er es traurig oder zornig gesagt. Aber weil er Roger Comstock war, präsentierte er es als witzige Bemerkung. Das machte er so gut, dass Daniel ein kurzes, belustigtes Schnauben von sich gab, ehe er zur Besinnung kam und es unterdrückte.
Nun endlich waren die Bedingungen der Transaktion klar. Warum weigerte sich Daniel, Roger zu hassen? Nicht aus Blindheit für Rogers Fehler, denn er sah Rogers moralische Feigheit so deutlich, wie Hooke durch eine Linse einen Wassermolch sah. Auch nicht aus christlicher Vergebung. Er weigerte sich, Roger zu hassen, weil Roger, und das schon seit Jahren, auch bei ihm, Daniel, moralische Feigheit sah und ihn
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