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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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kommen würden. Es hatte den Anschein, als drängte sich dort unten eine ganze Schar silberner Comstocks, zumeist in altmodischen Wämsern oder Halskrausen, und starrten grimmig durch den Zaun nach draußen. »Alle hinter Gittern, wo sie schon seit hundert Jahren hingehören!«, sagte Roger und lachte dann so laut über seinen eigenen Scherz, dass er den Blick von John Comstock persönlich auf sich zog, der in seinem Vorhof stand und ein paar Träger beaufsichtigte, die ein hauptsegelgroßes Gemälde von irgendeiner kontinentalen Belagerung zur Tür hinausbugsierten. Daniels Blick heftete sich daran, teils weil ihn der Anblick des Earls von Epsom melancholisch stimmte, teils aber auch, weil er so viel Zeit mit Leibniz verbracht hatte, der oft von solchen Gemälden sprach, wenn er von der Perspektive Gottes redete. Auf einem einzigen Stück Leinwand hatte der Künstler, scheinbar von einem festen Standpunkt aus, Scharmützel, Ausfälle, Kavallerieangriffe und den Tod mehrerer Hauptakteure dargestellt, alles Ereignisse, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten stattgefunden hatten. Und das war nicht die einzige Freiheit, die er sich mit der Vorstellung von Zeit und Raum herausgenommen hatte, denn bestimmte Ereignisse – das Unterminieren einer Bastion, die Detonation der Mine und die darauf folgende Schlacht – wurden alle gleichzeitig gezeigt. Die Darstellungen standen nebeneinander wie eingelegte Larven in der Sammlung der Royal Society, denen für alle Zeiten dieselbe Zeit gemeinsam war; doch wenn man das Auge in der richtigen Reihenfolge über sie schweifen ließ, konnte man im Geiste die Geschichte erstehen lassen, jedes Ereignis im richtigen Moment. Dieses große Gemälde stand natürlich nicht allein, sondern war umgeben von all den anderen Gemälden, die man schon vorher aus dem Haus getragen hatte; seine Wahrnehmungen waren neben anderen aufgereiht, die kleine Welt dieser Belagerung war eingebettet in ein größeres Aufgebot anderer Dinge, die das Haus Comstock in seiner langen Geschichte wahrgenommen und für würdig befunden hatte, auf Leinwand gebannt zu werden. Nun wurden sie, aus traurigem Anlass, allesamt ausgelüftet und in eine neue Reihenfolge gebracht. Doch dass dieser Moment – der Fall der silbernen Comstocks – in so viele alte eingebettet war, ließ ihn weniger schrecklich erscheinen, als er vielleicht erschienen wäre, wenn er gleichsam nackt und ganz allein in Zeit und Raum gestanden hätte.
    Der Earl von Epsom wandte den Kopf und starrte über Piccadilly hinweg auf seinen goldenen Cousin, ohne jedoch irgendwelche Gefühle zu zeigen. Daniel hatte sich in der Kutsche ganz klein gemacht und hoffte, in Dunkel gehüllt zu sein. Auf ihn machte John Comstock einen beinahe erleichterten Eindruck. Wie schlimm konnte es schon sein, in Epsom zu leben und jeden Tag jagen und fischen zu gehen? Das redete Daniel sich ein – doch später erschienen die Traurigkeit und Abgezehrtheit im Gesicht des Earls zu den merkwürdigsten Zeiten vor seinem geistigen Auge.
    »Lasst Euch ja nicht dumm machen, bloß weil Ihr jetzt sein Gesicht seht«, sagte Roger zu ihm. »Der Mann war ein Kavalier. Er führte Kavallerieattacken gegen Fußsoldaten des Parlaments.Wisst Ihr, was das heißt? Seht Ihr diesen großen, grässlichen Schinken dort von Comstocks Großonkel und seinen Freunden, wie sie hinter dem Fuchs hergaloppieren? Ersetzt den Fuchs durch einen hungernden Freibauern, unbewaffnet und allein, und Ihr habt ein zutreffendes Bild davon, wie dieser Mann den Bürgerkrieg verbracht hat.«
    »Das weiß ich alles«, sagte Daniel. »Und trotzdem, irgendwie sind er und seine Familie mir immer noch lieber als der Herzog von Gunfleet und seine Familie.«
    »John Comstock musste aus dem Weg geschafft werden, und wir mussten einen Krieg verlieren, ehe irgendetwas passieren konnte«, sagte Roger. »Was Anglesey und seine Sippschaft angeht, so liebe ich sie noch weniger als Ihr. Ärgert Euch nicht über sie. Genießt Euren Triumph und Eure Mätresse. Überlasst Anglesey mir.«
    Dann ging es nach Whitehall, wo sie zusammen mit diversen Bolstroods, Waterhouses und vielen anderen zusahen, wie der König die Deklaration unterzeichnete. In Wilkins’ Fassung hatte das Dokument jedermann Gewissensfreiheit gewährt. Die Version, die der König an diesem Tag unterzeichnete, war nicht ganz so großzügig: Sie ächtete bestimmte extreme Häretiker wie etwa die Arianer, die nicht an die Dreifaltigkeit glaubten. Trotzdem war es

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