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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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geschnitten, der sich unvermittelt aus ansonsten flachem Land erhob. Als die über ihn hinwegziehenden Rauchwolken vorübergehend aufrissen, richtete Jack den Blick nach oben und sah über sich die verstümmelte Face der Burgbastei undeutlich auftauchen und erhaschte einen flüchtigen Blick auf das hohe Dach des Kaiserpalastes, der jenseits und oberhalb von ihr lag.
    Das musste ein Tunnel sein, ein gewaltiger, den die Türken unter der Bastion gegraben hatten in der Hoffnung, sie in die Luft zu jagen. Der Boden war mit Baumstämmen ausgelegt worden, die vom Gewicht der Ochsen und der Karren, auf denen Erde hinaus-, und Schießpulver hineingezogen wurde, zum größten Teil in den Schlamm getrieben worden waren. Dort konnte Jack Straußenabdrücke sehen. Warum sollte dieser Vogel stehen bleiben, um nur den Kopf in den Sand zu stecken, wo er doch ganz unter die Erde gehen konnte und sich nicht einmal zu bücken brauchte? Jack gefiel der Gedanke, ihm zu folgen, nicht, aber die Würfel waren gefallen: in Sachen Beute war es der Strauß oder gar nichts.
    Wie von jedem gut organisierten Bergbauprojekt zu erwarten, gab es in der Nähe des Eingangs Fackeln, die kopfüber in einem Topf mit Öl steckten. Jack schnappte sich eine, rührte damit in den Kohlen eines ausgehenden Feuers, bis Flammen aufflackerten, und trieb dann sein Pferd vorwärts in den Stollen hinein.
    Der war sorgfältig verzimmert worden, um ihn vor dem Einstürzen zu bewahren. Über eine gewisse Strecke fiel der Tunnel sanft ab, bis er unter dem Grundwasserspiegel lag und zu einer Art unangenehmem Schlammloch wurde, bevor er allmählich wieder anstieg.Vor sich sah Jack Lichter brennen. Ihm fiel auf, dass sich über den Boden des Tunnels ein heller Streifen dampfenden Blutes zog. Das löste aus, was Klein-Jack an instinktiver Vorsicht mitbekommen hatte: Er warf die Fackel in eine Pfütze und trieb sein Pferd in gemächlichem Schritt weiter voran.
    Die Lichter vor ihm erhellten einen Raum, der größer war als der Stollengang selbst: ein Raum, der tief unter der Erde ausgehöhlt worden war – aber wo? Als er sich den Ritt der letzten paar Minuten vergegenwärtigte, wurde Jack klar, dass er eine beachtliche Strecke zurückgelegt hatte – er musste den ganzen Weg unter der Bastion hinter sich gebracht haben – bis zur inneren Stadtmauer. Und als er sich den Lichtern (mehreren großen Feuerschalen) näherte, konnte er sehen, dass die Türken ihre Tunnelanlagen wie auch deren hölzernes Stützwerk durchweg mit Dingen verbunden hatten, die Hunderte von Jahren zuvor in die Erde getrieben worden waren: geteerten Pfählen, einer neben dem anderen eingerammt, und Sockeln aus gemörteltem Stein und Ziegeln. Die Türken hatten geradewegs durch das Fundament von irgendetwas Riesigem gegraben.
    Dem Blutrinnsal in den erleuchteten Raum folgend, sah Jack ein paar kleine, helle, geblähte Zelte, die aus einem unerfindlichen türkischen Grund mitten in dieser Kammer aufgestellt worden waren. Manche standen noch, andere lagen zusammengefallen im Dreck. Zwei Männer schlugen mit kurzen Schwertstreichen auf diese farbenfrohen Zelte ein. Der Strauß stand mit neugierig geneigtem Kopf seitlich von ihnen. Die Zelte fielen um und dabei spritzte Blut heraus.
    In diesen Zelten waren Menschen! Sie wurden hingerichtet, einer nach dem anderen.
    Es wäre ein Leichtes gewesen, den Strauß hier mit einem Gewehrschuss zu töten, aber das hätte sicher die Aufmerksamkeit dieser türkischen Schergen auf ihn gezogen. Es waren prachtvoll anzusehende Burschen mit schönen Säbeln, die einzigen lebendigen Türken, die Jack an diesem Tag zu Gesicht bekommen hatte, und die einzigen, die in einer Verfassung waren, dass sie Christen Gewalt antun konnten. Er zog es vor, sich von ihnen zu entfernen.
    Ein Säbel schlug oben in eins dieser bunten Zelte, und eine Frau schrie. Ein zweiter Hieb brachte sie zum Schweigen.
    Es waren also alles Frauen. Vermutlich einer dieser berühmten Harems. Jack fragte sich teilnahmslos, ob die Schlammlerchen von East London ihm je glauben würden, wenn er heimkehrte und ihnen erzählte, er habe einen lebenden Straußen und einen türkischen Harem gesehen.
    Doch solche Gedanken wurden von anderen verscheucht. Einer dieser Momente war gekommen: Jack hatte die Gelegenheit, in einer Weise dumm zu sein, die viel interessanter war, als ein kluges Verhalten es je hätte sein können. Solche Momente schienen sich Jack alle paar Tage zu bieten. Bob dagegen boten sie sich fast nie,

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