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Quicksilver

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Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ein Erzbischof gesprochen hätte, aufgrund der Geschichte von seiner Sammlerreise nach Qwghlm, die er ihr gerade erzählt hatte, war klar, dass er irgendwann einmal ein Landstreicher gewesen war. So ein Mist! Nicht zum ersten Mal stellte Jack sich vor, er schnitte sich die Zunge heraus. Seine Zunge wurde von jenem kleinen Bruchteil der Menschheit bewundert, der aufgrund eines gewissen Bedürfnisses nach Würde oder Klugheit nicht damit hinter dem Berg hielt, dass er jeden Teil an Jack Shaftoe bewunderte. Hätte er sie doch nur im Zaum gehalten, seine Zunge, dann spräche diese blauäugige Maid ihn vielleicht immer noch mit »Herr Ritter« an.
    Der Teil von Jack Shaftoe, der ihn bis zu diesem Zeitpunkt am Leben erhalten hatte, riet ihm nun, fest an dem einen oder anderen Zügel zu ziehen, das Pferd herumzureißen und vor Fräulein Unbill hier davonzugaloppieren. Er schaute auf seine Hände hinunter, die diese Zügel hielten, und stellte fest, dass sie sich kein bisschen bewegten – offensichtlich hatte der Teil von Jack, der auf ein fröhliches und kurzes Leben aus war, sich wieder einmal durchgesetzt.
    Oft tauchten in Landstreicherlagern Puritaner auf und verbreiteten die Kunde, dass zur Zeit der Erschaffung der Welt – vor Tausenden von Jahren! – Einzelne unter den Anwesenden von Gott dazu vorherbestimmt worden seien, erlöst zu werden. Die Übrigen seien dazu verdammt, die Ewigkeit im Höllenfeuer zu verbringen. Diese Erkenntnis hieß bei den Puritanern die Gute Nachricht. Noch Tage, nachdem die Puritaner vertrieben worden waren, behauptete im Lager jeder Rotzbengel, der einen fahren ließ, dieses Ereignis sei vom Allmächtigen vorherbestimmt und von Anbeginn der Zeit im Buch des Himmels niedergelegt. Ein großer Jux, das alles. Jetzt dagegen saß Jack Shaftoe auf einem türkischen Schlachtross, wollte, dass seine Hände am einen oder anderen Zügel zogen und seine Stiefelabsätze sich in die Seite des Tieres bohrten, damit es ihn von dieser Frau forttrüge, und nichts passierte. Hier musste die Gute Nachricht am Werk sein.
    Die blauen Augen waren niedergeschlagen. »Zuerst dachte ich, du wärst ein Ritter«, sagte sie.
    »Was, in solchen Lumpen?«
    »Aber das Pferd ist prachtvoll und verstellt mir ein wenig die Sicht«, sagte Fräulein Unbill. »Die Art, wie du diese Janitscharen besiegt hast – der reinste Sir Galahad!«
    »Galahad – das ist doch der, der nie gevögelt wurde?« Schon wieder seine Zunge. Wieder das Gefühl, dass diese Bewegungen vorherbestimmt waren, dass sein Körper ein verschlossener Wagen war, der, außer Kontrolle geraten, einen Berg hinabschoss, geradewegs auf die Höllenpforte zu.
    »Das ist eins der wenigen Dinge, die ich mit diesem sagenhaften Ritter gemein habe.«
    »Nein!«
    »Ich war gozde , was bedeutet, dass der Sultan auf mich aufmerksam geworden war; doch bevor ich zur ikbal , zur offiziellen Konkubine des Sultans, gemacht wurde, gab er mich dem Großwesir.«
    »Ich bin ja nicht sonderlich gebildet«, sagte Jack Shaftoe, »aber zu dem wenigen, was ich über die Gewohnheiten türkischer Wesire weiß, gehört nicht, dass sie sich in ihren Lagern hübsche, knackige, blonde junge Sklavinnen als Jungfrauen zu halten pflegen!«
    »Nicht auf Dauer. Dazu musst du wissen, dass ein paar Jungfrauen für besondere Gelegenheiten aufgespart wurden – wie zum Beispiel die Erstürmung Wiens.«
    »Würden sich in Wien denn nicht jede Menge Jungfrauen auftreiben lassen?«
    »Aufgrund der Berichte seiner Geheimagenten, die der Wasir in die Stadt schickte, fürchtete er, es werde dort nicht eine einzige geben.«
    Jack hatte einen Hang zum Argwohn. Andererseits konnte es durchaus sein, dass der Wesir oder Wasir, wie Blauauge ihn nannte, englische Jungfrauen hatte, schließlich hatte er auch Strauße, juwelengeschmückte Riesenkatzen und eingetopfte Obstbäume. »Diese Soldaten haben sich doch nicht an dir vergriffen, oder?«, fragte Jack. Er schwenkte seinen Säbel in Richtung der toten Türken, wobei er aus Versehen kleine Blutgeschosse von der Spitze abschnellen ließ.
    »Das sind Janitscharen.«
    »Von denen hab ich gehört«, sagte Jack. »Ich hab mal dran gedacht, nach Konstantinopel zu gehen oder wie immer sie es jetzt nennen, und bei ihnen einzutreten.«
    »Und was ist mit ihrem Eid der Ehelosigkeit?«
    »Ach, das macht bei mir keinen Unterschied, Blauauge – schau mal hier.« Er kämpfte mit seinem Hosenlatz.
    »Ein Türke wäre schon fertig«, sagte die Frau, während sie geduldig

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