Quicksilver
von Bauern ein, die in die Stadt kamen, wie sie es jeden Morgen taten, und Gemüse, Milch, Eier, Fleisch, Fisch und Heu auf die Märkte brachten. Diese Menschenmenge war größer, als er sie in Erinnerung hatte, und brauchte länger, um in die Stadt zu kommen. Das Tor von St-Denis war heillos verstopft, und so versuchte er sein Glück am Tor von St-Martin, einen Gewehrschuss davon entfernt. Als er darunter hindurchging, leuchtete dessen neue Steinmetzarbeit hübsch im Morgenlicht: König Louie als nackter Ur-Herkules, der unbekümmert auf einer baumgroßen Keule lehnte, nackt bis auf eine Perücke von der Größe einer Wolke und ein Löwenfell, das so über einem Arm hing, dass ein flatterndes Ende gerade den königlichen Penis bedeckte. Die Siegesgöttin schoss vom Himmel herab, den einen Arm voller Palmzweige, während sie den anderen ausstreckte, um einen Lorbeerkranz auf diese Perücke zu setzen. Der Fuß des Königs ruhte auf der übel zugerichteten Gestalt von jemandem, den er offensichtlich soeben grün und blau geschlagen hatte, und im Hintergrund stand ein großer Turm in Flammen.
»Der Teufel soll dich holen, König Louie«, murmelte Jack, während er das Tor passierte; er spürte nämlich, dass er sich selbst duckte. Er hatte versucht, Frankreich so schnell wie möglich zu durchqueren, um genau das zu verhindern; dennoch hatte er mehrere Tage gebraucht. Allein sein ungeheures Ausmaß, verglichen mit diesen winzigen deutschen Fürstentümern und den einzelnen Staaten der holländischen Republik, bewirkte, dass man, bis man in Paris eintraf, bereits so lange durch die Ländereien dieses Königs gereist war, dass man beim Passieren des Tores gar nicht anders konnte, als sich unter seiner Macht zu ducken.
Na egal, jetzt war er jedenfalls in Paris. Zu seiner Linken ging in einiger Entfernung die Sonne über den Türmen und Bastionen des Tempels auf, in dem der Malteserorden seine eigene Stadt innerhalb der Stadt hatte – obgleich die alten Blendmauern, die sie früher umgeben hatten, vor kurzem abgerissen worden waren. Abgesehen von dieser Richtung war ihm die Sicht zum größten Teil durch senkrechte weiße Steinwände versperrt: die sechs- und siebenstöckigen Häuser von Paris, die sich zu beiden Seiten der Straße erhoben und die Bauern, Fischweiber und Verkäufer mit ihren Wagenladungen voll Blumen, Orangen und Austern in enge Rennbahnen schleusten, in denen sie heftig um ihre Position rangelten und dabei alle versuchten, nicht in die zentrale Gosse zu fallen. Lange vor dem Stadtzentrum bog viel von diesem Verkehr nach rechts ab, auf den großen Marktplatz in den Hallen, was einen (für Paris) klaren Ausblick direkt hinunter auf die Seine und die Île de la Cité bot.
Jack gewann allmählich den Verdacht, dass ein Agent von König Louies Generalleutnant der Polizei, der dummerweise für einen Moment seinen Blick aufgefangen hatte, als er durch das Tor gegangen war, sich ihm an die Fersen geheftet hatte. Jack war so schlau, sich nicht umzuschauen. Wenn er jedoch die Gesichter von entgegenkommenden Fußgängern – vor allem wenn sie zum Abschaum gehörten – beobachtete, konnte er sehen, dass jemand bei ihnen erst Erstaunen und dann Angst auslöste. In der Menge konnte Jack schlecht unterschlüpfen, da er ein großes Pferd am Zügel führte, aber er konnte versuchen, den Anschein zu erwecken, als lohne es sich nicht, ihn zu verfolgen. Dafür waren die Markthallen gut geeignet, und so bog er mit der Menge nach rechts ab. Die dramatische Alternative – auf Türk aufsteigen und eineWaffe ziehen – würde auf die Galeeren führen. Genau genommen gab es nur sehr wenige Straßen aus Paris hinaus, die nicht damit endeten, dass Jack in Marseille an einen Riemen gekettet wurde.
Irgendjemand hinter ihm musste sich eine geharnischte Standpauke von den Fischweibern in den Hallen anhören. Jack bekam Vergleiche zwischen dem Schnurrbart seines Verfolgers und den Achselhaaren verschiedener heidnischer Völker mit. Die Hypothese, dass dieser Polizist wohl zu viel Zeit damit verbrachte, oralen Geschlechtsverkehr mit gewissen großen, für mangelnde Hygiene berüchtigten landwirtschaftlichen Nutztieren zu haben, wurde in Umlauf gesetzt und fand allgemeine Zustimmung. Für alles Weitere war Jacks Französisch einfach nicht schnell und obszön genug. Er schlenderte mehrmals durch die Hallen in der Hoffnung, dass die Menschenmenge, der Gestank der Fischeingeweide von gestern, die Fischweiber und die schiere Langeweile
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