Quicksilver
diesen Mann von seiner Fährte abbringen würden, aber dem war nicht so. Jack kaufte einen Laib Brot, sodass er rechtfertigen konnte, warum er hergekommen war, falls jemand sich die Mühe machte, ihn danach zu fragen, und um zu demonstrieren, dass er kein mittelloser Vagabund war, nicht zuletzt aber auch, weil er Hunger hatte.
Er wandte der Sonne den Rücken zu und fing an, sich in Richtung Rue Vivienne durch verschiedene Straßen zu schlängeln und zu manövrieren. Die Polizei wollte ihn festnehmen, weil sie davon ausging, dass er sich ohne Beschäftigung in Paris aufhielt, was normalerweise auch der Fall gewesen wäre. Deswegen hatte er völlig vergessen, dass er diesmal sehr wohl eine Beschäftigung hatte.
Die Straßen füllten sich zusehends mit fahrenden Händlern: einem Käseverkäufer, der auf so etwas wie einer Schubkarre ein großes Rad aus irgendeinem blau geäderten Zeug schob, einem Senfverkäufer, der einen kleinen zugedeckten Eimer und eine Schöpfkelle bei sich hatte, zahlreichen porteurs d’eau , deren stämmige Körper in Rahmen eingespannt waren, die durch hölzerne Eimer zum Schwanken gebracht wurden, einem Butterverkäufer, der sich Körbe mit Butterklümpchen auf den Rücken geschnallt hatte. Und das würde nur noch schlimmer werden, bis es ihn völlig unbeweglich machte. Er musste Türk loswerden. Kein Problem: Der Pferdehandel war überall, er war schon an mehreren Mietställen vorbeigekommen, und Heuwagen füllten enge Straßen mit ihrer strohigen Masse und ihrem betäubenden Duft. Jack folgte einem zu einem Stall und vereinbarte, dass er Türk hier für ein paar Tage einstellen konnte.
Dann zur anderen Seite hinaus und in einen weiten offenen Raum: einen Platz mit (o Wunder!) einer monumentalen Statue von König Louie in der Mitte. Auf der einen Seite ihres Sockels ein Relief von Louie, wie er höchstpersönlich einen Kavallerieangriff über einen Kanal, oder vielleicht war es auch der Rhein, gegen einen horizontalen Wald von Musketen anführte. Auf der anderen Louie auf dem Thron mit einer Schlange von europäischen Königen und Kaisern, die, ihre Kronen in der Hand, darauf warten, niederzuknien und seine hochhackigen Stiefeletten zu küssen.
Er musste auf dem richtigen Weg sein, denn allmählich begegnete er einer höheren Klasse von Verkäufern: Buchhändlern, die umherschlenderten und auf Schildern Anzeigen hochhielten, einem Zuckerwerkverkäufer mit einer kleinen Waage, einem eau-de-vie -Händler, der einen Korb mit kleinen Flaschen und ein Kelchglas trug; einem Mann, der Pâtés verkaufte und eine Art Malerpalette mit Klecksen verschiedener Sorten bei sich hatte, und vielen Orangenmädchen: Und alle priesen sie ihre Ware mit den Ausrufen an, die zur jeweiligen Art von Verkäufer gehörten, so wie Vögel ihre unterschiedlichen Rufe hatten. Jack war in der Rue Vivienne. Allmählich sah es aus wie in Amsterdam: fein gekleidete Männer aus aller Herren Länder, die einherschlenderten und ernste Gespräche führten: Sie verdienten Geld, indem sie mit Worten handelten. Ein bisschen sah es aber auch aus wie im Buchhändlerquartier in Leipzig: ganze Wagenladungen mit Büchern, die gedruckt, aber nicht gebunden waren und in einem außergewöhnlich schönen Haus verschwanden: der Bibliothek des Königs.
Jack humpelte an seiner Krücke die Straße auf einer Seite hinauf und auf der anderen wieder hinunter, bis er das Haus zur Goldenen Fregatte fand, das mit der Skulptur eines Kriegsschiffes verziert war. Das stammte offensichtlich aus der Hand eines Künstlers, der den Ozean nie gesehen hatte, denn es war seltsam verzerrt und allzu großzügig mit Batteriedecks ausgestattet. Immerhin sah es gut aus. Ein vornehmer Italiener stand auf der Eingangstreppe und stocherte mit einem handgearbeiteten eisernen Schlüssel mit vielen komischen Höckern in dem dazugehörigen Schloss herum.
»Signor Cozzi?«, fragte Jack.
» Si «, antwortete der und wirkte nur wenig erstaunt darüber, dass ein einbeiniger Wanderer ihn ansprach.
»Eine Nachricht aus Amsterdam«, sagte Jack auf Französisch, »von Eurem Cousin.« Letzteres war allerdings überflüssig, denn Signor Cozzi hatte das Siegel bereits erkannt. Er ließ den Schlüssel aus dem Schloss herausragen, erbrach es gleich an Ort und Stelle und überflog einige in einer wunderschön geschwungenen Schrift verfasste Zeilen. Eine Frau mit einem Fass Tinte auf dem Rücken, die sein Interesse an schriftlichen Dokumenten bemerkte, rief ihm ein Angebot zu, und
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