Quicksilver
hochzuhalten. Ihr jedoch seid durch keinerlei derartige Verpflichtungen gebunden – warum kommt Ihr hier heraus, wo nur Sattelrobben und Polarbären sein sollten – und dazu in einem solchen Rock?«
»Der Rock muss kurz sein, sonst würde er sich in den Kufen meiner Schlittschuhe verfangen – seht Ihr?«, sagte Eliza und vollführte eine kleine Pirouette. Noch bevor sie sich einmal ganz gedreht hatte, drang aus der Mitte der französischen Delegation ein Stöhnen und Krachen, als ein spindeldürrer Diplomat mittleren Alters benommen zusammenbrach. Die Männer, die unmittelbar neben ihm standen, gingen in die Hocke, als wollten sie Hilfe leisten, richteten sich jedoch auf eine schroffe Äußerung von d’Avaux hin sofort wieder auf. »Wenn wir erst einmal anfangen, bei denen, die zusammenbrechen – oder so tun als ob -, Ausnahmen zu machen, wird die ganze Delegation umfallen wie ein Satz Dominosteine«, erklärte d’Avaux, wobei diese Bemerkung an Eliza gerichtet, aber für sein Gefolge gedacht war. Der kollabierte Mann zog sich zu einer Embryonalhaltung auf dem Pflaster zusammen; ein paar Degen tragende Holländer rannten mit einer Decke herbei. In der Zwischenzeit kam ein Bauernmädchen mit einem großen Tablett aus einer Seitenstraße und ließ die französische Delegation, als sie an ihr vorbeiging, den Duft von acht Humpen heißem Flip riechen und ihren Dampf spüren – bevor sie sie den Engländern servierte.
»Ausnahmen von was ?«, fragte Eliza.
»Von den Regeln des diplomatischen Protokolls«, antwortete d’Avaux. »Die – zum Beispiel – besagen, dass, wenn zwei Botschafter sich an einer Wegenge treffen, der rangniedere dem ranghöheren Platz machen muss.«
»Aha, das ist es also. Ihr streitet Euch darüber, ob Ihr oder der englische Botschafter im Rang höher steht?«
»Ich vertrete den Allerchristlichsten König 48 , der Haufen dort vertritt König James II. von England... das heißt, eigentlich können wir das nur vermuten, da wir zwar Kunde vom Tod König Charles II., nicht aber von einer ordentlichen Krönung seines Bruders erhalten haben.«
»Dann ist klar, dass Ihr der ranghöhere seid.«
»Euch und mir ist das klar, Mademoiselle. Dieser Bursche dagegen hat behauptet, da er ja keinen ungekrönten König vertreten könne, müsse er wohl immer noch den verstorbenen Charles II. vertreten, der 1651 gekrönt worden ist, nachdem die Puritaner seinem Vater und Vorgänger den Kopf abgehackt hatten. Mein König wurde 1654 gekrönt.«
»Doch bei aller Hochachtung vor dem Allerchristlichsten König, Monsieur, würde das nicht bedeuten, dass König Charles II., wenn er noch unter den Lebenden weilte, drei Jahre älter wäre als er?«
»Ein Pöbelhaufen von Schotten warf in Scone eine Krone auf Charles’ Kopf«, antwortete d’Avaux, »und dann kam er her und lebte hier von den Almosen, die er von den Holländern erbat, bis die Käsefresser ihm 1660 Geld gaben, damit er endlich ging. Ganz konkret fing seine Herrschaft also erst an, als er nach Dover segelte.«
»Wenn wir schon konkret werden, Sir«, rief ein Engländer, »dann sollten wir doch auch bedenken, dass Euer König ganz konkret die Herrschaft erst mit dem Tod von Kardinal Mazarin am neunten März 1661 übernahm.« Er hob einen Humpen an die Lippen und trank in großen Zügen, wobei er zwischen einzelnen Schlucken innehielt, um kleine Seufzer der Befriedigung auszustoßen.
» Mein König ist wenigstens am Leben«, murmelte d’Avaux. »Seht Ihr? Und da beschuldigen sie die Jesuiten der Sophisterei! Sagt mal, wird Euer Beau von der St. Georgsgilde gesucht?«
In Den Haag wurde die öffentliche Ordnung von zwei Bürgerwehrgilden aufrechterhalten. Für den Teil der Stadt um den Markt und das Rathaus herum, wo normale Holländer lebten, war die St. Sebastiansgilde zuständig. Die St. Georgsgilde war verantwortlich für das Hofgebied, das den Königspalast, die ausländischen Botschaften, Herrenhäuser reicher Familien und so weiter, umfasste. Beide Gilden hatten ihre Leute unter den zahlreichen Zuschauern, die zusammengekommen waren, um dem Schauspiel beizuwohnen, wie d’Avaux und seine englischen Gegenspieler sich zu Tode froren. So war d’Avauxs Frage zum Teil dazu gedacht, den vornehmen und aristokratischen Mitgliedern der St. Georgsgilde zu schmeicheln und sie zu amüsieren – womöglich auf Kosten der eher zum gemeinen Volk gehörigen St. Sebastianswehren, die die englische Delegation zu bevorzugen schienen.
»Seid nicht albern,
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