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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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nicht in der Stimmung für Gefühle. Deshalb wirbelte Jack herum, rannte aus dem Gebäude und bestieg Türk. »Seid auf der Hut!«, rief jemand hinter ihm her. »Es geht das Gerücht, L’Emmerdeur sei in der Stadt!«
    »Ich habe gehört, dass er auf dem Weg ist«, erwiderte Jack, »an der Spitze einer Landstreicherarmee.«
    Es wäre lustig gewesen, hier zu bleiben und noch ein bisschen weiterzumachen, aber Cozzi stand in der Tür und warf ihm einen funkelnden Blick zu, sodass Jack auf dem Rücken von Türk, die beiden gemieteten Pferde am Zügel hinter sich, auf eineWeise, die dramatisch aussehen sollte, die Rue Vivienne hinuntergaloppierte und bei der nächsten Gelegenheit links abbog. So gelangte er schließlich direkt zu den Markthallen zurück – und musste dann auch unbedingt über den Fischmarkt reiten, wo die Polizei auf der Suche nach einem einbeinigen, mit einem kurzen Penis ausgestatteten Fußgänger alles auf den Kopf stellte. Jack zwinkerte der einen jungen Fischverkäuferin zu, die ihm besonders aufgefallen war, und löste damit eine Erregung aus, die sich ausbreitete wie Feuer unter Schwarzpulver, und dann war er weg, hinein in das Marais – unmittelbar an der Place Royale vorbei. Er musste sich seinen Weg um die dahinrumpelnden Mistwagen bahnen, bis er zur Bastille kam: einem einzigen großen, schweißigen Felsen, die wenigen winzigen Fenster Pockennarben gleich, mit patrouillierenden Grenadieren obendrauf – in einer Stadt von Mauern besaß sie die höchsten und dicksten. Sie stand mitten in einem Wallgraben, der durch einen kleinen, von der Seine heraufführenden Kanal gespeist wurde. Die Brücke über den Kanal war verstopft, sodass Jack zum Fluss hinunter und dann am rechten Seineeufer entlang zur Stadt hinausritt und Paris damit hinter sich ließ. Er hatte Angst, Türk könnte schon erschöpft sein. Doch als das Streitross die offenen Felder vor sich sah, drängte es vorwärts, zog heftig am Zügel und rief bei den Ersatzpferden, die hinterherliefen, ärgerliches Wiehern hervor.
    Nach Lyon war es eine weite Reise, fast so weit wie nach Italien (weshalb, so nahm er an, die italienischen Banken dort ihren Sitz hatten) oder, wenn man es anders betrachten wollte, fast die ganze Strecke bis nach Marseille. Das Land war aufgeteilt in unzählige einzelne pays mit ihren jeweiligen Zollgebühren, die in der Regel in Herbergen an den wichtigen Kreuzungen erhoben wurden. Jack, der von Zeit zu Zeit die Pferde wechselte, schien sich den ganzen Weg über in einem Wettrennen gegen eine schwankende, schmale schwarze Kutsche zu befinden, die, von einem Vierergespann gezogen, wie ein Skorpion die Straße entlanghastete. Es war ein gutes Rennen, was bedeutet, dass die Führung häufig wechselte. Doch am Ende erwiesen sich diese Herbergen und die Notwendigkeit, häufig die Gespanne auszuwechseln, als zu großer Nachteil für die Kutsche, und Jack war der Erste, der mit den Neuigkeiten – was immer es war – nach Lyon hineinritt.
    Ein anderer genuesischer Bankier in leuchtend bunter Kleidung war der Empfänger von Signor Cozzis Notiz. Jack musste ihn auf einem Marktplatz ausfindig machen, wie es in Paris keinen gab, wo Dinge wie Holzkohle, Ballen alter Kleider und Rollen ungefärbten Stoffs in großen Mengen zum Verkauf angeboten wurden. Der Bankier bezahlte Jack aus seiner Tasche und las die Notiz.
    »Ihr seid Engländer?«
    »Allerdings. Na und?«
    »Euer König ist tot.« Damit ging der Bankier energischen Schrittes zu seinem Büro, von wo noch in derselben Stunde andere Boten in Richtung Genua und Marseille losgaloppierten. Jack versorgte seine Pferde und wanderte erstaunt in Lyon umher, während er ein paar getrocknete Feigen kaute, die er auf einem Kleinhändlermarkt erstanden hatte. Der einzige König, den er je gekannt hatte, war tot, und England war jetzt irgendwie ein anderes Land – von einem Papisten regiert!

Den Haag
    FEBRUAR 1685
    Bei der französischen Delegation hatten winzige Schneeverwehungen bereits die kirschroten Plateausohlen der Stiefel eingerahmt, und bei der englischen waren aus den Schnurbärten einen Zoll lange Rotztröpfchen gewachsen. Eliza glitt auf ihren Schlittschuhen heran und kam mit einer Pirouette auf dem Kanal zum Stehen, um zu bewundern, was sie (zunächst) für eine Art riesige Skulpturengruppe hielt. Natürlich trugen Skulpturen normalerweise keine Kleider, aber diese Botschafter und ihr jeweiliges Gefolge (insgesamt acht Engländer gegenüber sieben Franzosen) hatten so

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